von Detlef David Kauschke
»Seht euch vor, dass ihr meine Welt nicht verderbt und zerstört. Denn wenn ihr es tut, wird es niemanden geben, der sie nach euch wieder instand setzt.« Klingt nach indianischer Weisheit, einer Passage aus dem Grundsatzprogramm von Greenpeace oder der Lebensphilosophie eines altvorderen Aktivisten der Grünen. Aber der Satz stammt aus dem Midrasch (Kohelet Rabba). Und er ist nur eine von vielen Aussagen der rabbinischen Literatur zum Thema Umweltschutz, ein zentrales Anliegen im Judentum. Die Tora mahnt, nichts zwecklos zu zerstören. Keine Bäume, keine Sträucher, kein Grün. Auch ist es ein biblisches Gebot, natürliche Ressourcen nicht zu verschwenden. Eine der Grundideen des Schabbat ist, dass der Mensch an einem Tag der Woche nicht nur sich selbst, sondern auch seiner Umwelt Ruhe gönnt. Ebenso verweist der Talmud immer wieder darauf, dass die Schöpfung erhalten, das Leben geschützt und die Natur bewahrt werden muss. Schon vor 2.000 Jahren ging es um verunreinigten Boden, verschmutztes Wasser und verpestete Luft.
Tu Bischwat, das Neujahrsfest der Bäume am Samstag, ist ein guter Anlass, daran zu erinnern, wie eng Judentum mit Ökologie verbunden ist. Umso erstaunlicher ist es, dass dies offenkundig an den restlichen Tagen des Jahres häufig in Vergessenheit gerät. Wir haben ja auch genug andere Sorgen. Antisemitismus, die Bedrohung Israels, der Wiederaufbau jüdischen Lebens. Umweltschutz? Das ist gojische Naches. Oder vielleicht doch nicht? Man braucht dieser Tage nur vor die Tür zu treten, um zu sehen, was wir bereits angerichtet haben: frühlingshafte Temperaturen Anfang Januar und schwere Stürme. Wenige Tage später Kälteschock, Glatteis und Schneeverwehungen. Das Wetter spielt verrückt. Der Klimawandel, so hat es den Anschein, macht sich schneller bemerkbar als befürchtet. Appelle für die Umwelt werden immer lauter. Klimaschutz ist ein Hauptanliegen der deutschen EU-Präsidentschaft. Viele melden sich zu Wort. Doch eine vernehmbare jüdische Stimme, die fehlt.
Hat die jüdische Gemeinschaft in Deutschland das Thema noch nicht für sich entdeckt? Andere Glaubensgemeinschaften sind da schon ein Stück weiter. Jede kleine Landeskirche hat einen Umweltbeauftragten. Bei interreligiösen Konferenzen reden Buddhisten, Bahais, Muslime, Katholiken und Protestanten über Um- weltschutz und Religion. Wie 2002 in Göttingen und 2003 in Loccum. Vertreter der jüdischen Gemeinschaft waren nicht dabei. Initiatoren und Teilnehmer dieser Treffen wundern sich. Schließlich seien es doch alte jüdische Texte, die Grundlage des Handelns und der Diskussion sind, sagen sie.
Auch in den USA war das jüdische Interesse an ökologischen Themen eher bescheiden. Das hat sich geändert. Ende der 70er Jahre installierte der erste Rabbiner ein mit Solarenergie betriebenes Ewiges Licht, Ner Tamid, in seiner Synagoge. Eine »Koalition Umwelt und jüdisches Leben« (COEJL) leistet seit mehr als zehn Jahren Öffentlichkeitsarbeit, organisiert Informa-tions- und Fortbildungsveranstaltungen. Sie will ganz bewusst eine jüdische Stimme in die säkulare und interreligiöse Diskussion einbringen. Eine andere Organisation, Canfei Nesharim (Flügel der Adler), versucht, aus der Perspektive der jüdischen Tradition die Bedeutung des Umweltschutzes zu vermitteln. Diese Gruppe orthodoxer Juden gründete sich vor genau vier Jahren in New York – zu Tu Bischwat. Die Initiative »Umweltbewusste Synagoge« in New Jersey beschäftigt sich mit praktischen Fragen wie zum Beispiel energiesparenden Glühbirnen oder Recyclingtonnen für die Bethäuser. Und in Evanston/Illinois entsteht derzeit in ökologi- scher Bauweise die erste »grüne Synagoge« des Landes.
Energiesparen und Mülltrennung sind auch in jüdischen Gemeinden hierzulande keine Fremdwörter. Und kein Rabbiner muss sofort aufs Elektromobil umsteigen, kein Kantor nur noch mit dem Fahrrad unterwegs sein dürfen. Nein, es geht erst einmal um ein verändertes Bewusstsein. Es geht darum, häufiger über Sonnenenergie-Anlagen auf Synagogendächern, den sparsamen Umgang mit Papier in Gemeindezentren oder ökologische Bewirtschaftung von Friedhöfen wenigstens nachzudenken. Oder am besten gleich zur Tat schreiten und beim nächsten Kiddusch einfach mal kein Plastikgeschirr verwenden. Rabbiner können in den Synagogen über die religiöse Bedeutung des Klimaschutzes sprechen, Beter könnten über umweltfreundliche Grundsätze diskutieren.
Und bei aller Spiritualität: Umweltschutz kann sich auch auszahlen. In den USA haben Gemeinden durch das Einsparen von Energie und andere ökologische Maßnahmen jährlich einige zehntausend Dollar mehr in der Kasse. Auch kein schlechtes Argument dafür, das (Umwelt-) Bewusstsein zu schärfen und an das Morgen zu denken.