Ferien ade. Der hektische Alltag hat uns wieder. Aber zum Glück gibt es ja den wöchentlichen Feiertag. Da ist Zeit, sich auszuruhen und die Seele baumeln zu lassen. Doch wie lange noch? Die Kirchen beklagen, dass immer mehr Gewerbe immer häufiger auch sonntags arbeiten – und das, obwohl der wöchentliche Ruhetag in Deutschland seit 1891 gesetzlich geregelt ist. Jetzt sind Protestanten und Katholiken vor das Bundesverfassungsgericht gezogen: Karlsruhe soll klären, ob verkaufsoffene Sonntage mit dem Grundgesetz vereinbar sind.
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, argumentiert, dass Sonntagsarbeit die »Gewährleistung der Religionsfreiheit« einschränke. Allerdings plädiert er nicht für ein gänzliches Verbot von Sonntagsarbeit, sondern dafür, dass der Sonntag »im Grundsatz ein arbeitsfreier Tag bleiben« müsse.
Aus jüdischer Sicht könnte man eine solche Klage zunächst begrüßen. Denn sie knüpft an das biblische Arbeitsverbot an: »Sechs Tage kannst du arbeiten und all deine Geschäfte verrichten. Der siebente Tag aber ist ein Ruhetag, dem Ewigen, deinem Gott, zu Ehren. Du sollst kein Handwerk verrichten, weder du selbst noch dein Sohn oder deine Tochter, dein Sklave, deine Sklavin, auch nicht durch deinen Ochsen, deinen Esel und all dein Vieh oder durch den Fremden, der sich in deinen Toren aufhält« (5. Buch Moses 5, 13-14).
Wie die Rabbiner vor 2.000 Jahren könnten wir nun fragen, was Arbeit ist und darüber Debatten führen, was man am gottgeweihten heiligen Tag tun darf, ob eine Orgel in der Synagoge nicht doch zu Arbeit am gottgeweihten heiligen Tag führt. Alle diese Debatten sind eitel und nichtig.
In der jüdischen Welt gibt es verschiedene Schabbatkonzepte, die nebeneinander stehen. Die altfromme Fiktion, man könne einen gänzlich arbeitsfreien Tag erzeugen, funktioniert nur unter der Prämisse, dass andere dann die Arbeit verrichten, die notwendig ist, um unsere Welt am Laufen zu halten.
Der Ansatz des modernen Judentums, wertschöpfende Arbeit am Schabbat zu unterlassen, die tägliche Gewohnheitsarbeit auf ein Minimum zu beschränken und jedem selbst die Verantwortung für sein Tun aufzuerlegen, ist ein Ausweg. Doch er muss immer wieder überprüft werden, denn der Übergang vom möglichst arbeitsfreien Schabbat zu einem »Spaßtag« oder zu einem zusätzlichen Arbeitstag ist fließend. Deshalb sollten sich Religionsgemeinschaften nicht vom Staat und von Gerichten Hilfe holen, sondern an ihrer Basis Überzeugungsarbeit leisten.
Es ist weit hergeholt, die Religionsfreiheit durch Sonntagsarbeit in Gefahr zu sehen. Hat das Judentum in christlich geprägten Gesellschaften etwa nicht überlebt, nur weil die anderen am Schabbat gearbeitet haben? Was ist mit jenem (immer größer werdenden) Teil der Gesellschaft, der sich der Kirche nicht verbunden fühlt, sei es, weil er einer nichtchristlichen oder gar keiner Religion angehört?
In den USA, die wesentlich mehr von religiösem Leben geprägt sind als Deutschland, ist Sonntagsarbeit in weitaus größerem Maß möglich als hierzulande. Keiner käme dort auf die Idee, deshalb die Religionsfreiheit in Gefahr zu sehen. Aber in Amerika gibt es zunehmend mehr Menschen, die an ihrem heiligen Wochentag – sei es der Freitag, der Schabbat oder der Sonntag – ganz gezielt ihre Alltagsarbeit vermeiden, ihre Familie zusammenholen und zum Gottesdienst gehen.
Wie bei der Debatte um das Kruzifix in Klassenzimmern stellt sich die Frage, inwieweit der Staat weltanschaulich Position beziehen darf oder Neutralität zu wahren hat. Der Kruzifix-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1995 blieb bis heute weitgehend ohne praktische Folgen. Nach dem Willen der bayerischen Regierung ist das Kreuz aus dem Klassenzimmer nicht verschwunden. Ähnlich werden verkaufsoffene Sonntage – ganz gleich, wie Karlsruhe entscheidet – auch in Zukunft die Ausnahme bleiben. Ist die Debatte um den Schutz der Sonntagsruhe also ein Sturm im Wasserglas?
Die Frage, wer für uns an Fest- und Feiertagen in Kraftwerken, bei Polizei und Feuerwehr, in Krankenhäusern, Altenheimen, Kuhställen und an unzähligen anderen neuralgischen Punkten unserer Gesellschaft seine Knochen hinhält, könnte verdeutlichen, dass unsere Freiheit auf dem Engagement anderer beruht. Es ist richtig, dass eine Religionsgemeinschaft für ihre Werte kämpft. Aber jeder sollte es allein bei den eigenen Leuten tun – und zwar durch Überzeugungsarbeit, nicht durch gerichtliche Gängelung. Vielleicht hilft den Christen in Deutschland eine jüdische Erfahrung: »Der Schabbat hat mehr für den Erhalt des Judentums getan als das Judentum für den Schabbat.«
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