von Peter Bollag
Da steht Rechtsanwalt Micky Kol im gleißenden Flutlicht, eingeklemmt zwischen Gefängnistor und Wachtturm. Er wartet darauf, seine einjährige Gefängnisstrafe anzutreten. Die hat er sich eingehandelt, weil er während einer Gerichtsverhandlung Akten auf den Richter geworfen hat, der Kols Mandanten verurteilt hatte.
Doch noch öffnet sich das Tor nicht. Und während der Haftantritt sich immer weiter verzögert (ein dramaturgischer Trick von Autor Joshua Sobol), rollt Kol in Handytelefonaten seinen Fall nochmals auf. Rasch erfährt der Zuschauer, dass der Anwalt das Opfer von Intrigen, Korruption und einem unfähigen Justizapparat geworden ist. Befreien kann er sich aus dem Dilemma nur mithilfe von Frauen, ausgenommen seine Angetraute Ronit; die ist ihm wegen einer Affäre mit einer Praktikantin so gram, dass sie keinen Finger zu seiner Rettung rühren mag. Deshalb versucht es Kol mit seiner jüngsten Eroberung, der russischstämmigen Gerichtsbibliothekarin Nina. Alles per Handy, wie gesagt. Nicht zufällig heißt der Held »Kol«, hebräisch für »Stimme«; denn er hat in diesem Kampf nur seine Stimme. Natürlich ruft Kol – schließlich sind wir in Israel – auch noch seine Mamme an, der er allerdings nicht wagt, von der Gefängnisstrafe zu beichten; er erzählt ihr, er sei am Flughafen, um nach Afrika einzuchecken, wo er sehr viel Geld verdienen werde.
Um viel Geld geht es in diesem verschlungenen Fall tatsächlich. Im Hintergrund steht ein Medikament, das eigentlich nicht auf den Markt kommen dürfte, weil es unerwünschte, ja gefährliche Nebenwirkungen hat. Am Schluss des Stückes hat Kol den offensichtlich korrupten Richter so weit, dass dieser vor den Tatsachen resigniert, die da vor ihm ausgebreitet werden und mit einem totalen Zusammenbruch reagiert. Kol triumphiert – und muss doch vorerst hinter Gitter. Seinen Anti-Korruptionskreuzzug werden vorderhand andere für ihn kämpfen müssen.
Joshua Sobols Stück Kols letzter Anruf wurde 2007 beim Akko-Festival ausgezeichnet. Dass es jetzt im kleinen Theater am Bahnhof in Dornach bei Basel unter Sobols eigener Regie erstmals auf Deutsch aufgeführt wird, verdankt sich der langen Bekanntschaft des israelischen Dramatikers mit Theaterleiter Georg Darvas, der den Kol selbst und äußerst überzeugend spielt. Das Bühnenbild hat Sobols Frau Edna gestaltet.
80 Minuten dauert das Stück, die im Fluge vergehen. Darvas gibt den Kol mal als polternden Macho, dann wieder als winselnden Bittsteller und schließlich als strahlenden Helden, der vor nichts und niemandem zurückweicht, auch wenn er als Waffe nur ein Handy hat, das nicht einmal ihm gehört, sondern geborgt ist. Das alles wird von Sobol in einer witzigen und pointierten Sprache erzählt mit Stand-up-reifen Sätzen wie »Eine vierte Ehe wird es nicht geben; mein Herz ist frei, aber meine Taschen leer« oder »Herr Richter, wir sind alle zum Tode verurteilt. Auch Sie. C’est la vie. Was kann man schon machen?«
Neues Theater am Bahnhof Dornach
Die Vorstellungen laufen bis Anfang 2009.
www.neuestheater.ch