von Hans-Ulrich Dillmann
Sie wirbelten Dächer in die Luft, entwurzelten Obstbäume und knickten Palmen um wie Streichhölzer. Die furiosen Winde des Zyklons Nargis rissen Holzhütten mit sich und brachten die wenigen gemauerten Häuser in dem südostasiatischen Staat Myanmar zum Einsturz. Aber so schlimm der Sturm mit Windgeschwindigkeiten von fast 200 Stundenkilometern am 2. Mai in dem Vielvölkerstaat mit seinen etwa 48 Millionen Einwohnern wütete, viel schlimmer trieb es die aufgepeitschte See, als sie das Irrawaddy-Flussdelta überschwemmte. Es gab keine Hochwasserdämme, die die Flut hätten aufhalten können. Die nicht zerstörten Armutshütten wurden fortgeschwemmt, auch mehr als zwei Wochen nach der Unwetterkatastrophe sind weite Landstriche unter Wasser.
Nach wie vor werden fast stündlich neue Opferzahlen gemeldet – das hängt nicht zuletzt auch damit zusammen, dass sich Birma, so der alte Name des Landes, seit Jahren mehr oder minder von der Außenwelt abgeschottet hat. Verlässliche Informationen fehlen. Seit 1989 regiert eine Militärjunta, die jede Opposition gewaltsam unterdrückt. Schon vor vier Jahren gab es ein schweres Seebeben mit vielen Toten. Jedoch wurden niemals überprüfbare Todeszahlen veröffentlicht.
Hilfsorganisationen wie der American Jewish World Service (AJWS), eine weltweit arbeitende jüdische Entwicklungsvereinigung, fürchten, dass die bisher gemeldete offizielle Zahl der Toten von 40.000 noch ansteigen könnte – diplomatische Kreise in Birma sprechen von mehr als 100.000 Flut- und Sturmopfern. Inoffiziell werden noch rund 40.000 Personen vermisst. Man rechnet mit rund einer Million Obdachlosen. 95 Prozent aller Hütten sind völlig oder teilweise zerstört, schätzt die jüdische Entwicklungshilfeorganisation in New York.
Die Flüsse sind von Tierkadavern und Leichen, die noch nicht geborgen werden konnten, vergiftet, Trinkwasser fehlt fast völlig. Seuchen sind ausgebrochen und könnten noch weitere Menschen töten. Der AJWS befürchtet, dass die Sturmkatastrophe schlimmer ist als der Tsunami vor über vier Jahren. Damals starben in Indonesien, Thailand und anderen südostasiatischen Inselstaaten etwa 180.000 Menschen.
Während allerdings aus aller Welt Hilfsangebote eintrafen, zeigt sich das Militärregime in Myanmar wenig interessiert an einer schnellen, weil von den Militärs mög- licherweise nicht kontrollierbaren Unterstützung. Mitarbeiter von internationalen Hilfsorganisationen wie dem Roten Kreuz oder den Vereinten Nationen bekamen keine oder nur sehr wenige Einreisevisa, um eine Evaluierung der Schäden und das Eintreffen sinnvoller Hilfsgüterlieferungen zu koordinieren. Ein Teil der eingetroffenen Rettungsgeräte und Lebensmittellieferungen wurde noch am Flughafen beschlagnahmt – zur Empörung der Geberländer. Bereits kurze Zeit nach der Sturmflut wurde der Amerikanisch-Jüdische Weltdienst von seinen Hilfspartnern in Birmas Nachbarländern auf die dramatische Situation aufmerksam gemacht. Ein erster Bericht aus der Region sei alarmierend gewesen, berichtet AJWS-Sprecher Joshua Berkman: »Die Überschwemmung hat die Gefahr von schweren Krankheiten verstärkt. Aufgrund der extremen Vermehrung von Mücken ist vor allem Malaria zu befürchten. Leichen auf den Straßen schaffen unhygienische Bedingungen, die die Gefahr von Parasiten und Erkrankungen verstärken.« Saubere Wasserquellen und nichtkontaminierte Nahrung seien so gut wie nicht mehr vorhanden, so Berkman. Für die Armen im Land gebe es keinen Schutz und keine Hilfe bei Verletzungen durch die Sturmflut.
Für eine Soforthilfe für die Flutopfer kam der jüdischen Hilfsorganisation zunutze, dass sie bereits seit sechs Jahren in den Ländern um Myanmar aktiv ist, vor allem in der Betreuung von Flüchtlingslagern in Thailand, Indien und Bangladesch. »Unsere Partner vor Ort haben mit dem von uns zur Verfügung gestellten Geld den Menschen geholfen, die vor der Armut aus Birma geflohen sind, sie ausgestattet und dafür gesorgt, dass sie sich in den Flüchtlingslagern einrichten konnten«, sagt Berkman.
Nach Informationen des AJWS verfügte die Militärregierung schon zwei Tage vor der Katastrophe über Sturmwarnungen, die die amerikanische Raumfahrtbehörde NASA übermittelt hatte. Aber die Militärs beachteten die Hinweise nicht. »Das Verhalten der Regierung zeigt, dass sie sich nicht um die Bevölkerung kümmert«, zitiert Berkman den AJWS-Partner in der Region. Durch die Projekte vor Ort und deren authentische Informationen konnte die jüdische Entwicklungshilfeorganisation auch sehr schnell die Öffentlichkeit in den USA auf das Ausmaß der Katastrophe aufmerksam machen und zu Spenden für die Flutopfer aufrufen.
»Es werden dringend Lebensmittel und Trinkwasser benötigt«, sagt Berkman. Aber genauso wichtig seien Kochgeräte, die die Flutwelle weggeschwemmt oder unbrauchbar gemacht hat. Wegen der Malariagefahr werden auch Moskitonetze benötigt. Und um die Seuchengefahr zu bekämpfen, hat der AJWS seinen Projektpartnern auch Geld für die Leichenverbrennung zur Verfügung gestellt. Berkman: »Es gilt das Schlimmste zu verhindern.«