von Ira M. Sheskin
Eine Woche nachdem ihr idyllischer Campus in den Bergen im Südwesten von Virginia in den Brennpunkt des nationalen Interesses geraten war, schwindelt es der Leiterin der Studentenvereinigung Hillel an der Virginia Tech University immer noch. »Hektisch« und »nervenaufreibend« sind die Worte, mit denen Sue Kurtz die unmittelbare Zeit nach dem schlimmsten Amoklauf in der amerikanischen Geschichte beschreibt. 32 Menschen fielen der Gewalttat am 16. April zum Opfer.
Unter den Getöteten befindet sich vermutlich keiner der 1.400 jüdischen Studenten und Studentinnen der Universität, doch viele jüdische Studenten kannten jemanden, der erschossen wurde.
Im jüdischen Gemeindezentrum von Blacksburg wurde am vergangenen Dienstagabend ein Gedenkgottesdienst abgehalten. Der Andrang war so groß, dass nicht alle Besucher in den Raum passten. Einheimische sagen, dass weitaus mehr Menschen in die Synagoge strömten als an den Hohen Feiertagen. Nach Ende des Gottesdienstes gingen die Studenten zu Fuß zu einer Zeremonie, die von der Studentenvertretung für die gesamte Universität organisiert wurde. Alle hielten Kerzen hoch. Die jüdischen Studenten sangen die »Hatikwa«, die israelische Nationalhymne. »Es war einfach unglaublich«, sagt Kurtz, »es war überwältigend.«
In den Tagen nach der Tragödie erhielt Kurtz Hunderte E-Mails und Telefonate, vor allem von besorgten Eltern. Einige hatten tagelang niemanden auf dem Campus erreicht oder machten sich Sorgen, weil die Stimmen ihrer Kinder am Telefon so seltsam klangen. Das von der Universität organisierte Beratungs- und Hilfsangebot findet Kurtz sehr hilfreich. Dennoch plant sie als eigenes Angebot für jüdische Studenten und Studentinnen für jeden Tag ein gemeinschaftliches Abendessen, mindestens bis zum Ende nächster Woche.
In der Zwischenzeit strömt die Hilfe der überregionalen jüdischen Organisationen herein. Die United Jewish Communities, die Dachorganisation der lokalen jüdischen Vereinigungen, stellte Hillel an der Virginia Tech eine Beihilfe in Höhe von 10.000 Dollar zur Verfügung. Ein Rabbiner und zwei Studenten der New York University reisten nach Blacksburg, um Kurtz beim Umgang mit Eltern und Medien zur Hand zu gehen. In der kommenden Woche will die Hillel-Zentrale zwei Psychologen zum Campus in Blacksburg entsenden. »Die jüdische Gemeinschaft hat zusammengefunden«, sagt Kurtz. »Das war eine wunderbare Erfahrung.«
Am Dienstag reisten Yossel Kranz und Shlomo Mayer, Emissäre von Chabad Lubawitsch in Richmond und Charlottesville in Virginia, nach Blacksburg. Sie führen die Aufsicht darüber, dass der Leichnam von Professor Liviu Librescu vorschriftsmäßig behandelt wird. Der 76-jährige Librescu, ein Holocaustüberleben- der aus Rumänien, der auch eine Zeit lang in Israel lebte, war bei dem Amoklauf getötet worden. Er hatte versucht, seine Studenten zu schützen.
Chabad organisiert eine »Woche der Güte«, um im Gedenken an die Getöteten zu guten Taten zu ermutigen. Nachdem der Leichnam Librescus dem amtlichen Leichenbeschauer in der Nachbarstadt Roanoke übergeben worden war, erfüllte der Rabbiner der örtlichen Beth-Israel-Synagoge die Anforderungen der Schmira, der traditionellen Pflicht, den Toten bis zur Beerdigung zu begleiten.
»Ich habe ihn nie kennengelernt, aber es herrschte eine gewisse Ahnung im Raum«, sagt Ron Kopelman. »Ich hatte das Gefühl, jemand sei anwesend, der in einer wahnsinnigen Situation vernünftig reagiert hat. Man konnte wahrhaftig fühlen, dass er Kiddusch Haschem, für die Heiligung des göttlichen Namens gestorben ist. Es war für mich sehr bewegend.« Nach der Zeremonie am Mittwoch in Brooklyn wurde Librescus Leichnam nach Israel geflogen, wo er am vergangenen Donnerstag bestattet wurde.