Ehrensache

Not am Mann

Wie sehr sich die deutsche Gesellschaft in den letzten Jahren verändert hat, kann man recht gut am Beispiel des Zivildienstes sehen. Wurden die jungen Männer, die nach der Schulzeit lieber in sozialen Institutionen als bei der Bundeswehr Dienst taten noch vor wenigen Jahrzehnten als Drückeberger verlacht, so gilt ihr Einsatz heute allgemein als wichtiger Beitrag, ohne den manche Pflegeeinrichtung kaum überleben könnte.
Die Pläne der neuen Bundesregierung, 2011 die Dauer des Zivildienstes von derzeit neun auf nur noch sechs Monate zu verringern, führte bereits zu zahlreichen Protesten von Trägern. Der deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband kündigte sogar an, ganz aus dem Zivildienst auszusteigen, da man sich dann nicht mehr in der Lage sehe, die Zivis sinnvoll einzusetzen.
Junge Menschen, die nach dem Schulabschluss ein Jahr lang ehrenamtlich in einer sozialen Einrichtung arbeiten, sogenannte FSJler, könnten ein Ersatz für die Ersatzdienstler sein, hieß es weiter. In den jüdischen Gemeinden geht man unterschiedlich auf die Angebote von Zivildienst und ehrenamtliche Helfer ein.

Willkommene Hilfe Der Zivildienst sei eine »hoch willkommene Sache«, sagt Wolfgang Stichnothe vom Lola-Fischel-Haus in Hannover. In dem jüdischen Seniorenheim helfen die jungen Männer, die sich gegen den Dienst bei der Bundeswehr entschieden haben, unter anderem im hauswirtschaftlichen Bereich, »dazu gehört auch, das Essen anzureichen und Fahrten und Begleitungen zu Terminen zu übernehmen.«
Die geplante Reduzierung der Dienstzeit sieht Stichnothe skeptisch: »Das heißt: Es gibt dann de facto keinen Zivildienst mehr«, konstatiert er und erklärt: »Die Zivildienstleistenden haben Urlaubsanspruch, dazu kommen zwei Kurse, an denen sie teilnehmen müssen – für uns bliebe da nichts mehr übrig.« Außerdem fiele es besonders alten Menschen schwer, sich an immer neue Gesichter zu gewöhnen, alle neun Monate einen neuen Zivi zu bekommen, sei schon schwer genug.
Ein weiterer Aspekt des Zivildienstes sei es zudem, dass er jungen Männern Einbli-
cke in eine Berufswelt erlaube, zu der die meist eher technisch orientierten männlichen Schulabgänger in aller Regel kaum Zugang haben: »Wir haben schon Zivis für den Pflegeberuf gewinnen können«, sagt Stichnothe denn auch.

Motivierte Jugend Allgemein habe man auch »sehr gute Erfahrungen mit den Leuten im Freiwilligen Sozialen Jahr ge-
macht«, berichtet der Heimleiter. »Das sind Leute, die, um es überspitzt zu sagen, Ge-
sinnungstäter sind, für die also soziales En-
gagement eine Selbstverständlichkeit ist.«
Grundsätzlich gehöre das Thema der sozialen Arbeit »fernab von allen jüdischen oder nichtjüdischen Einrichtungen, in die Öffentlichkeit, es muss eine Diskussion darüber geführt werden, wie man die soziale Arbeit aufwertet und nicht nur als Ausputzer für den Arbeitsmarkt benutzt.«
In Köln wählt man einen ganz anderen Ansatz. »Wir bieten kein Freiwilliges Soziales Jahr an«, sagt Benzion Wieber. »Und von den Zivis sind wir auch weggekommen.« Nicht etwa, weil man schlechte Er-
fahrungen gemacht habe, beeilt sich der Geschäftsführer der Synagogen-Gemeinde hinzuzufügen, »absolut nicht, wir waren mit unseren Zivildienstleistenden meis-
tens sehr zufrieden, und eine große Hilfe waren sie auch.«
Trotzdem beschäftigt man keine Zivis, aus einem einfachen Grund: »Wir haben sie durch hauswirtschaftliche Hilfen er-
setzt.« Sie erledigen die gleichen Aufgaben wie Zivildienstleistende, »sie übernehmen für dienigen, die das nicht mehr selber können, zum Beispiel das Einkaufen und das Putzen, sie begleiten bei Arztbesuchen und Behördengängen.«
Damit biete die Gemeinde Leuten eine feste Stelle an, die etwa Arbeitslosengeld beziehen und die Hoffnung, einen geregelten Job zu finden, fast schon aufgegeben haben. Momentan beschäftige man zwei Gemeindemitglieder als eine Art mobilen Hilfsdienst. »Das ist für uns eine wichtige Möglichkeit, Menschen wieder am Arbeitsprozess teilhaben zu lassen.« Zumal, so Wieber, »es ja auch mehr als genug Stellen für Zivildienstleistende gibt. Wir nehmen niemandem die Arbeit weg.«

neues Modell In Frankfurt am Main hat man wieder ein anderes Modell entwickelt, wie Leo Friedmann, Leiter des dortigen Altenheims, erzählt. Zivildienstleistende beschäftigt das Heim schon seit längerer Zeit nicht mehr, weil man mit deren Leistungen eher unzufrieden war. Und auch bei denjenigen, die das Freiwillige Soziale Jahr ableisten, kam es zu Schwierigkeiten: Das eigentliche Problem sei, dass die Gemeinde zwar den Arbeitsplatz biete, jedoch keine Sanktionsmöglichkeiten habe. Bei Komplikationen könne man weder das Hausrecht anwenden noch eine Abmahnung aussprechen.
Nun arbeitet man mit ehrenamtlichen Helfern. Der Dienst für andere nach amerikanischem Vorbild werde auch in Deutschland immer selbstverständlicher, sagt Fried-
mann. Mehr als 30 Ehrenamtliche helfen im Seniorenheim, wobei sie ihre Fähigkeiten und Vorlieben einbringen können. Im Gegenzug dürfen sie nicht nur mit Freude und Dankbarkeit rechnen, sondern auch damit, gut vorbereitet ihre Aufgaben zu verrichten. Man wollte nicht nur einseitig nehmen, sagt Friedmann, »wir schulen die Ehrenamtlichen, sie haben Ansprechpartner, wir investieren viel Zeit in sie, weil wir nicht möchten, dass sie einfach so ins kalte Wasser geworfen werden. Es gibt für sie und uns Rechte und Pflichten.«
»Wir haben zum Beispiel jemanden aus der Nachbarschaft, der den russischen und anderssprachigen Bewohnern beibringt, im Internet zu surfen«, beschreibt Friedmann, »aber auch für ältere Menschen, die noch fit sind, ist es attraktiv anderen zu helfen.« Mehr und mehr, so der Leiter des Altenheims, erwarteten auch Unternehmen soziales Engagement von ihren Mitarbeitern, »die renommierte Firma Ernst & Young hat bei uns beispielsweise einen Ehrenamtstag verbracht, es wurde mit den Bewohnern gebastelt, Musik gemacht, das war ein richtiges Event.«

Soziales Jahr Generell müsse freiwillige soziale Arbeit noch viel selbstverständlicher werden, sagt Friedmann: »Meine Forderungen gehen in die Richtung, wie ich es in Israel erlebt habe, wo es in den Schulen Pflicht ist, ein Jahr lang ein, zwei Stunden pro Woche in einer sozialen Institution mitzuarbeiten. Denn so kann man schon die ganz Jungen daran gewöhnen, für andere dazusein.«

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