Islamismus

Noltes Protokolle

von Wolfgang Wippermann

Der im Januar 86 Jahre alt gewordene Historiker und Philosoph Ernst Nolte hat ein neues Buch geschrieben. Vordergründig handelt es vom Islamismus – der, so der Titel, nach Faschismus und Kommunismus »dritten Widerstandsbewegung« gegen die Moderne. Doch tatsächlich geht es Nolte wieder einmal um die Juden, den »rassistischen« Zionismus und das »faschistische« Israel.
Das fängt an bei der »von den Römern nur vollzogenen Kreuzigung« Christi, für die aber die Juden verantwortlich waren, geht weiter mit der weltweiten »jüdischen Lobby« und dem »jüdischen Bolschewismus«, von dem man mit Fug und Recht sprechen könne, weil Juden sich »in den höchsten Stellen« des bolschewistischen Staates befunden, hätten. Dann kommt der Zionismus. Der habe rassistischen Charakter, weil er auf der »Rassenlehre« von Moses Hess und dem »nationalen Sozialismus« Theodor Herzls basiere. Nicht nur einzelne zionistische Politiker wie Wladimir Jabotinski und Menachem Begin seien »Faschisten« gewesen, Israel selbst sei ein »faschistischer Unrechtsstaat«, dessen Geheimdienst in Verdacht geraten sei, hinter den Anschlägen vom 11. September 2001 zu stecken. Die antisemitische These, wonach der Mossad für den Angriff auf das New Yorker World Trade Center verantwortlich gewesen sei, hält Nolte für »ernster zu nehmen« als die gängige Verschwörungstheorie, wonach es der CIA allein gewesen sein soll. Wer all dies leugne und den »Aus-druck ›Verbrechen der Zionisten‹ für unzulässig« halte, schlussfolgert der Historiker, schließe »sich selbst von einer wissenschaftlichen Debatte aus«. Und schließlich: Der »Antisemitismus der aus Palästina mit Gewalt vertriebenen arabischen und semitischen Einwohner« sei ein »nicht bloß verstehbarer, sondern im Kern gerechtfertigter ›Antisemitismus‹«.
Ich bin selbst ein Schüler Noltes und habe immer versucht, ihn gegen alle oder fast alle Angriffe zu verteidigen. Auch gegen den schlimmsten – und das ist der Vorwurf des Antisemitismus. Ist er spätes-tens jetzt berechtigt? Angesichts des Nolte schon immer kennzeichnenden, schwebenden und schwer verständlichen Stils ist diese Frage nicht leicht zu beantworten. Stellt Nolte doch das einmal Behauptete immer wieder in Frage oder setzt es in Anführungszeichen. So sind oder sollen Begriffe wie »jüdische Lobby«, »Weltjudentum«, »jüdischer Bolschewismus«, »rassistischer Zionismus«, »faschistisches Israel« etc. Zitate sein, wobei Nolte offenlässt, ob er den Meinungen der zitierten Autoren zustimmt oder nicht. Auch äußert er sich kaum oder überhaupt nicht über die wissenschaftliche Qualität des jeweiligen Autors und die quellenkritische Überlieferung des jeweiligen Zitats. Dies gilt vor allem für Äußerungen von jüdischer Seite. So wird die Behauptung, »die Juden« oder »die Israelis« »kontrollierten« Amerika, mit einem angeblichen (!) Ausspruch Ariel Scharons »belegt«. Bei der Charakterisierung Israels als »faschistisch« beruft sich Nolte permanent auf die, gelinde gesagt, umstrittene Arbeit Lenni Brenners über Zionismus und Faschismus.
Ein Schlüsselsatz findet sich in dem Buch, wenn Nolte den »gerechtfertigten Antisemitismus« der Palästinenser mit dem Hinweis versieht, dass sie, die Palästinenser, »denselben Fehler machten, den Hitler gemacht hatte, nämlich die Ersetzung der wirklichen und ideologischen Feinde, der Zionisten, durch einen ethnischen Begriff, nämlich Juden«. Diese Denkfigur ist bei ihm nicht neu, sie zieht sich durch sein Gesamtwerk. In seinem ersten Buch Der Faschismus in seiner Epoche 1963 hatte Nolte den Faschismus als »Antimarxismus« definiert. Damit konnte er jedoch die Tatsache nicht erklären, dass die meisten Opfer zumindest des deutschen Faschismus nicht Marxisten, sondern Juden waren. In seinem zweiten Buch Deutschland und der Kalte Krieg 1974 griff er bereits die »Zionisten« scharf an. Im Europäischen Bürgerkrieg 1989 schließlich konstruierte Nolte einen »kausalen Nexus« zwischen den »asiatischen Taten« Stalins, für die er die »jüdischen Bolschewisten« verantwortlich machte, und dem Nazismus inklusive Schoa, die als verstehbare Reaktionen Hitlers interpretiert wurden.
Einen ähnlichen »Nexus« hat Nolte auch in seinem neuen Buch über den »Islamismus« hergestellt, der in der Tat die radikalste »Widerstandsbewegung« keineswegs nur gegen die Moderne, sondern gegen den Zionismus ist. Das findet Noltes Sympathie und verleitet ihn dazu, ausgerechnet dem Großmufti von Jerusalem, dem Nazi-Verbündeten Amin al-Hussein, die »Ehre« zu erweisen, weil es sich bei diesem Antizionisten (und Antisemiten) um einen »tapferen Vorkämpfer der Palästinenser« gehandelt habe, die zu bedauernswerten Opfern nicht »der Juden«, wohl aber »der Zionisten« geworden seien.
Ernst Nolte begreift sich selbst als Antizionist, nicht als Judenhasser. Doch die – theoretisch mögliche – Trennlinie zwischen Antizionismus und Antisemitismus hat er spätestens mit diesem Buch verwischt und teilweise auch überschritten. Antizionisten, gleich welcher Couleur, sollte das zu denken geben. Mit »Israelkritik« begibt man sich leicht auf abschüssiges Gelände.

ernst nolte:
die dritte radikale widerstands-bewegung – der islamismus
Landt, Berlin 2009, 414 S., 39,90 €

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