von Christine Schmitt
Josef Latte hat noch nicht endgültig entschieden, ob er wieder für einen Sitz im Gemeindeparlament kandidieren wird. »Wir haben in den vergangenen vier Jahren viel geschafft«, meint der Vorsitzende der Repräsentantenversammlung (RV) der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Es wäre schade, wenn er diese Arbeit nicht fortsetzen könnte, sagt Latte. Andererseits möchte er aus privaten Gründen eigentlich lieber nicht mehr mit dabei sein. Mehrere Legislaturperioden habe er mit Unterbrechungen schon hinter sich, einmal zu Zeiten von Heinz Galinski in der Opposition und jetzt als Kadima-Mitglied sozusagen in der Regierung. Die persönlichen Streitereien, die die Arbeit oft bremsen, hätten ihn nicht weiter gestört. »Ich habe gute Nerven«, meint er. Aber früher sei doch sehr viel mehr über Inhalte diskutiert worden.
Wer über welche Inhalte zukünftig reden und entscheiden soll, können die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde am
25. November mitbestimmen. Dann sind sie zur Wahl für ein neues Gemeindeparlament aufgerufen. Nur noch zehn Wochen bis zum Urnengang. Seit Ende der Sommerpause sind die Bewerber um einen Sitz in der RV in fast allen jüdischen Einrichtungen anzutreffen, um die notwendigen 65 Stimmen für eine Kandidatur zu-
sammenzubekommen. Bis zum 25. September müssen die eingereicht sein, um sich aufstellen zu lassen. »Daran ist bisher noch keiner gescheitert«, beruhigt Sigmount Königsberg vom Büro der Repräsentantenversammlung.
Der Wahlkampf ist eröffnet, und so wurde einigen Repräsentanten schon mal bei der jüngsten Sitzung der RV am Mittwoch vergangener Woche vorgeworfen, manche Aussage nur zu machen, um bei den Gemeindemitgliedern zu punkten. 21 Stimmen darf jeder Wähler auf die Kandidaten verteilt abgeben. Die 21 Repräsentanten stimmen dann über die Zusammensetzung des fünfköpfigen Vorstandes ab, der wiederum den Gemeindechef bestimmt.
Gab es in der Vergangenheit meist lediglich zwei Bündnisse, dürfen sich diesmal die Wähler wahrscheinlich zwischen vier Gruppen und mehreren Einzelkandidaten entscheiden. Das erste Bündnis, das sich bereits im Frühjahr zusammengetan hat, ist »Atid« (Zukunft). 15 Mitglieder gehören ihm an, sagt Lala Süsskind, die es unter anderem mit Benno Bleiberg, Mirjam Marcus, Ilan Ben-Schalom und Michael Joachim gegründet hat. Der jüngste Neuzugang ist der Berliner Makkabi-Chef Tuvia Schlesinger. »Atid statt Austritt«, heißt deren Wahlspruch. Transparenz, Wahrung der Einheitsgemeinde, Stärkung jüdischen Lebens und ein besseres Ansehen in der Öffentlichkeit stehen im Programm.
Repräsentant und Vorstandsmitglied Arkadi Schneiderman hat auf der jüngsten RV-Sitzung verkündet, dass sein Wahlbündnis den Namen »Tacheles« trägt. Um die 16 Mitstreiter seien dabei, sagt er, fünf davon sollen aus der jetzigen Repräsentanz stammen. Gideon Joffe, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, und lange Zeit enger Verbündeter von Schneiderman, wird wohl andere Wege gehen. Doch möchte er sich noch nicht über Wahlbündnisse, Programme oder Mitstreiter äußern. Nur so viel: Er wird wieder antreten.
Joffe sah sich in der Sommerpause
mit einer Art Misstrauensantrag im Vorstand konfrontiert. »Jetzt noch den Gemeindechef abzuwählen, ist schon aus formalen Gründen kaum zu schaffen. Außer-
dem würde sich damit wohl niemand ei-
nen Gefallen tun«, kommentiert Repräsentant Walther Rothschild den Vorgang. Dennoch musste sich Joffe auch auf der jüngsten RV herbe Kritik von einigen seiner Vorstandskollegen anhören.
Außerhalb des derzeitigen Gemeindeparlaments hat sich ebenfalls noch ein Wahlbündnis zusammengetan: »Neue Na-
men« lautet dessen Titel, der auch gleich die Zusammensetzung ankündigt: Dessen Mitglieder sind so unzufrieden mit der jetzigen Gemeindepolitik, dass sie sich nun engagieren wollen. »Die Gemeinde braucht neue Ideen und neue Namen«, heißt es in einer Anzeige. Die religiöse Einheit soll geschützt, am besseren Miteinander zwischen »russischen und deutschen« Juden soll gearbeitet und an die älteren Gemeindemitglieder soll gedacht werden, aber auch an die jüngeren. Initiatoren dieses Bündnisses sind unter anderem Yael Frankfurt, Ilja Zofin und Michail Gorodezkij.
Weiterhin engagieren möchten sich die Präsidiumsmitglieder Alexander Brenner und Jael Botsch-Fitterling. Beide wollen jeweils als Einzelkämpfer ins Rennen um die Wählergunst gehen. Brenner, ehemaliger Gemeindechef, war schon vor vier Jahren erfolgreich solistisch angetreten – was er immer wieder gerne betont. »Ich möchte von Sache zu Sache selber entscheiden«, begründet Botsch-Fitterling ihren Alleingang.
Andere Repräsentanten planen hingegen ihren Abgang: Sie haben schon angekündigt, dass sie nicht wieder kandidieren werden, beispielsweise Walther Rothschild, der erst kurz vor der Sommerpause nach dem Ausscheiden von Sylva Franke in die RV gekommen war. »Es wird mehr gestritten als über Sachverhalte diskutiert«, sagt der Rabbiner. Er sei die endlosen, sinnlosen Diskussionen leid. Da könne er seine Zeit besser nutzen.
Auch der Kultusbeauftragte Maw Haymov will nicht mehr kandidieren. Ebenso Peter Sauerbaum, amtierender Dezernent für Bildung, Wissenschaft und Kultur und das einzige Mitglied des Vorstandes, das nicht der RV angehört, wird sich von der Gemeindepolitik verabschieden. Er war vor knapp zwei Jahren in den Vorstand gewählt worden. Inzwischen sei er es leid, sich immer wieder über persönliche Befindlichkeiten auseinandersetzen zu müssen, wo er lieber konstruktiv arbeiten wollte. Auch der ehemalige Gemeindevorsitzende Albert Meyer wird diesmal nicht kandidieren: »Für mich ist der Wahlausgang dennoch von Interesse, weil ich davon meinen Verbleib in dieser Gemeinde abhängig mache.«
Am Sonntag, 4. November, werden die Repräsentanten der zu Ende gehenden Legislaturperiode ein letztes Mal gemeinsam bei einer Gemeindeversammlung Rede und Antwort stehen.