Herr Lederer, was hält Sie eigentlich noch in der Linkspartei?
lederer: Sehr viel. Warum fragen Sie?
Sie haben auf einer Pro-Israel-Kundgebung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin gesprochen. Nun hagelt es Kritik.
lederer: Ich erhalte zurzeit großen Zuspruch, und ich merke, dass hier eine wichtige Debatte beginnt. Eine Partei, die in Friedhofsruhe erstarrt, will ja niemand.
Wollten Sie mit Ihrer Rede etwa nur Ihre Partei aufwecken?
lederer: Nein, nein. Es ist wirklich wichtig, dass sich die Linke, sowohl die Partei als auch die Bewegung, über das Thema Naher Osten verständigt. Da ist viel zu tun. Und bei allem berechtigten Protest gegen das militärische Vorgehen Israels darf man Antisemitismus nicht durchgehen lassen. Das wollte ich mit meinem Redebeitrag zeigen.
Seit wann beschäftigen Sie sich mit dem Thema Antisemitismus, auch von links?
lederer: Seit 1989/90, als der Umbruchprozess begann.
Da waren Sie gerade mal 15 Jahre alt.
lederer: Damals habe ich langsam angefangen, mich zu fragen, was analytisches Denken in Marxschen Kategorien ist. Und mir wurde klar, dass man scheinbaren ideologischen Gewissheiten immer mit Zweifeln begegnen muss.
Das klingt nicht gerade nach einem persönlichen Zugang zu dem Thema.
lederer: Ich finde, dass sich das Thema gerade in Berlin aufdrängt. Wenn man hier Politik macht, dann muss man wissen, dass dies nicht irgendeine Stadt ist. Hier stand die Reichskanzlei, hier wurde der Zweite Weltkrieg organisiert. Berlin ist die Stadt der »Wannseekonferenz«.
So allgemein formuliert wird das auch in Ihrer Partei kaum jemand bestreiten. Geht’s nicht etwas konkreter?
lederer: Mich ärgert zum Beispiel, wenn ich auf einer Demonstration ein Plakat sehe, auf dem ein Davidstern mit einem Gleichheitszeichen und dahinter das Wort »Nazis« zu sehen sind. Dann finde ich es infam, Juden in Berlin in Haftung zu nehmen für Dinge, die die israelische Regierung beschlossen hat. Und: Die Fragen, die sich im Nahen Osten stellen, sind viel zu komplex, als dass sie einseitig zu beantworten wären. Es gibt weder auf der israelischen noch auf der palästinensischen Seite homogene Blöcke mit einheitlichen Interessen und Positionen. Auch derjenige, der die palästinensischen Interessen im Blick hat, braucht und darf sich nicht mit der Hamas gemein machen.
Das sehen Ihre Kritiker anders. In einem offenen Brief, der unter anderem von Elmar Altvater, Hans Modrow und Sahra Wagenknecht unterschrieben wurde, wird Ihnen nun vorgeworfen, den Konsens der Partei in der Frage über Krieg und Frieden verlassen zu haben.
lederer: Es ist schon interessant, dass es immer wieder Menschen in unserer Partei gibt, die ihre Position als angeblichen Konsens der Partei definieren und abweichende Meinungen nicht zulassen wollen. Doch die Zeiten, in denen allein gültige Wahrheiten verkündet wurden, sind ja nun vorbei.
Ist es nicht eine klassisch linke Position, sich mit den unterdrückten Völkern der Dritten Welt zu solidarisieren, im konkreten Fall also mit den Palästinensern?
lederer: Aus Sicht des alten Ost-West-Konflikts kann ich diese Position noch nachvollziehen. Eine der zentralen Fragen in dieser bipolar organisierten Welt war immer, zu welchem Lager man gehört. Doch auch damals hat die PLO – und das wurde bestenfalls übersehen – zu Mitteln gegriffen, die zu missbilligen sind: Terroranschläge und Entführungen, bei denen Juden als Opfer selektiert wurden, wie dies bei der »Landshut« der Fall war. Wie steht die Linke dazu heute? Das lässt sich nicht ausblenden.
Was heißt das für den aktuellen Nahostkonflikt?
lederer: Es gibt einen urlinken Instinkt: Wir stehen auf der Seite der Unterdrückten. Das scheinen, mit Blick auf die Israelis, erst einmal die Palästinenser zu sein. Diese Einschätzung ist auch nicht ganz falsch. Aber der zweite Schritt muss doch die rationale Analyse sein. Da merkt man schnell, dass der Nahostkonflikt komplexere Ursachen hat. Und dass die Sicherheitsinteressen Israels auch berücksichtigt werden müssen. Die Linke lehnt Krieg ab und tritt für friedliche Konfliktlösungen ein. Dann muss ich aber nicht nur gegen den Krieg Israels auftreten, sondern auch gegen den Beschuss Israels mit Raketen durch die Hamas. Ich halte es für zwingend, dass Linke sich hier einen differenzierteren Zugang erarbeiten und ihn auch vertreten.
Ist das Ihre Antwort auf Ihre Kritiker?
lederer: Ja, durch ihre einseitige Stellungnahme machen sie sich zu Kombattanten einer Seite.
Genau dieser Vorwurf wird Ihnen auch gemacht: Sie hätten an einer Pro-Kriegs-Veranstaltung teilgenommen.
lederer: Ich bitte Sie: Ich habe eine Einladung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin angenommen! Diese Einladung ging an die fünf im Berliner Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien. Und auch wenn der Aufruf zur Kundgebung einseitig formuliert war, so ging es vielen bei dieser Demonstration auch um die Angst vor aufkommendem Antisemitismus. Dazu gilt es sich klar zu verhalten.
In Ihrer Partei kursiert ein Papier, in dem es heißt: »Gefordert ist Die Linke, die Proteste gegen den Angriff auf Gasa unterstützt und ihnen nicht mit Antisemitismusvorwürfen in den Rücken fällt.« Was fällt Ihnen dazu ein?
lederer: Gefordert ist Die Linke, die bei Antisemitismus nicht wegschaut! Die Kritik an Antisemitismus als »Ablenkung von etwas Wichtigerem« zu bezeichnen, ist unerträglich!
Offenbar gibt es in der Partei Die Linke auf der einen Seite Gregor Gysi, Petra Pau, Klaus Lederer und den BAK Shalom. Auf der anderen Seite die Partei. Sind Sie sicher, dass Sie nicht in der Minderheit sind?
lederer: Ja, da bin ich sicher. Bei denjenigen, die in politischen Funktionen sind, ist die Einstellung mehrheitlich klar. Das gilt auch für die Mehrheit der Bundestagsfraktion.
Die Unterzeichner des offenen Briefes sagen, sie sprächen für die Mehrheit in der Partei.
lederer: Woher wissen sie das eigentlich? Mir zeigen die Reaktionen, dass es für meine Position viel Rückhalt gibt. Zum anderen bin ich gewählter Landesvorsitzender. Von Abwahl- oder Ausschlussanträgen ist mir nichts bekannt.
Das Gespräch führte Martin Krauß.