Die österreichische Europaministerin Karoline Edtstadler ist in ihrer Partei, der ÖVP, eine Senkrechtstarterin. Die 39-Jährige war bis vor gut einem Jahr Staatssekretärin im von FPÖ-Scharfmacher Herbert Kickl geführten Innenministerium, galt dort aus eine Art »Aufpasserin« ihres Parteichefs, Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Im Mai 2019 wurde sie dann als ÖVP-Listenführerin ins Europäische Parlament gewählt. Dort übernahm sie den Vorsitz der überparteilichen Arbeitsgruppe gegen Antisemitismus und machte das Thema in Brüssel und Straßburg zu einem ihrer Schwerpunkte.
Im Januar beorderte Kurz Edtstadler dann wieder nach Wien zurück – sie wurde Europa- und Verfassungsministerin in seinem schwarz-grünen Kabinett. Doch das Thema Antisemitismus und die Pflege guter Beziehungen zu Israel und zur jüdischen Gemeinschaft in Österreich waren ihr weiterhin ein Herzensanliegen.
GEDENKSTÄTTE Am Montag hielt die ehemalige Richterin anlässlich des Baubeginns einer neuen Schoa-Gedenkstätte in Wien eine Ansprache. »Ich bin keine Jüdin«, sagte Edtstadler. Vom Mord an Millionen von Juden habe sie erst im Geschichtsunterricht gelernt. Dann fügte sie an: »Im Alter von zwölf Jahren habe ich dennoch erfahren, was es heißt, einen geliebten Menschen zu verlieren.«
Ihr Großvater sei damals in Folge eines schweren Verkehrsunfalls gestorben, und ihre Mutter habe sie damals mit den Worten zu trösten versucht: »Solange du an ihn denkst, solange du über ihn sprichst, solange du seinen Namen nennst, wird er in dir weiterleben.« Damit schlug sie einen Bogen zur Gedenkstätte. Dort soll nämlich an die Namen der Holocaust-Toten erinnert werden - auf einer Namensmauer.
VERGLEICH Bini Guttmann, der österreichische Präsident der Europäischen jüdischen Studierendenunion EUJS, kritisierte den Vergleich der Ministerin. »Ich verstehe zwar, was Karoline Edtstadler hier ausdrücken möchte, aber nein, der industrialisierte Massenmord an 6 Millionen Juden*Jüdinnen ist nicht mit dem Unfall des Großvaters vergleichbar.«
Gegenüber der Online-Zeitung »ZE.TT« fügte Guttmann an, es sei im Land der Täter nicht gut genug, über eigene Trauererfahrungen zu reden, wenn man über den Mord an sechs Millionen Juden spreche. »Wenn man in Österreich oder Deutschland Vergleiche mit der Schoa bringt, dann müssen die in eine andere Richtung gehen.«
SORGEN Edtstadler sagte dem gleichen Medium, sie habe keine Vergleiche anstellen wollen. »Der eingangs in meiner Rede erwähnte Tod meines Großvaters war kein Vergleich mit der Schoa – absolut nichts ist mit der Schoa vergleichbar«, erklärte sie. Vielmehr sei es ihr darum gegangen zu schildern, wie sie als Kind erstmals mit Trauer und Verlust konfrontiert worden sei und lernen musste, damit umzugehen. »Ich bedaure, wenn der sehr persönliche Versuch, eine Brücke zu meinem Empfinden herzustellen, missverständlich war«, so die Ministerin.
Guttmann sagte »ZE.TT«, er glaube nicht, dass sich die Aussagen der Ministerin intendiert gewesen seien oder sie sich viele Gedanken darüber gemacht habe. »Das macht es aber in keiner Art und Weise besser. Vielleicht ist es sogar Kern des Problems. Denn Frau Edtstadler ist nicht irgendjemand, sondern eine österreichische Bundesministerin, die auf einer Schoa-Gedenkveranstaltung spricht. Sie sollte es besser wissen. Das bereitet mir Sorgen«, so der Studierendenverbandschef.