von Jessica Jacoby
Sie könnte die Enkelin der von ihr porträtierten Wienerinnen in New York sein. Mirjam Unger, geboren 1970 in der österreichischen Hauptstadt. Mit ihrer Dokumentation Vienna’s Lost Daughters setzt sie der Generation der Verfolgten ein filmisches Denkmal.
Ihre eigene Großmutter hat Unger nie kennengelernt. Die hatte sich zwar mit ihrer Schwester vor den Nazis nach Palästina retten können, aber starb dort schließlich in einer Psychiatrie, weil sie nicht verkraften konnte, dass sie den Rest der Familie hatte zurücklassen müssen. Mit ihrer Großtante konnte die Regisseurin noch reden und tat dies auch, um, wie sie sagt, ihre eigene Geschichte nicht bei ihren Protagonistinnen suchen zu müssen.
Anita, Dorit, Eva, Hennie, Lizzy, Susy und Rosalie sind vitale und durchweg sympathische Achtzigjährige. Gemeinsam ist ihnen nicht nur ihr Wohnort New York und ihre Geburtsstadt Wien. Sie alle kamen auch 1938/39 als Flüchtlinge im Rahmen des Kindertransports nach England. Ihre Eltern sahen sie, von einer Ausnahme abgesehen, nie wieder. Die Jahre in England kommen im Film leider kaum zur Sprache. Dabei hätte man gern erfahren, wie das für diese damals jungen Mädchen war und wie es sie letztendlich nach New York verschlagen hat.
Die Trauer um das Verlorene ist in dem Film stets präsent, steht aber nicht im Vordergrund. Miriam Unger folgt mit beweglicher Kamera den alten Damen in ihrem Alltag, immer in ihrer Nähe, aber niemals aufdringlich. Friseurbesuche und Yogakurse, Bridgepartys und Opernbesuche, die beste Sachertorte von New York und Wienerlieder von der Schallplatte, Liebe im Alter, Freundinnentratsch und Spaziergänge am Meer (»Ich hätt‹ gern die Alpen, aber die sind nicht da«) zeichnen ein eher heiteres Kaleidoskop.
Lange haben die Frauen nicht mehr zu leben. Sie wissen es. Wir sehen Lizzy in einem Karton nach Wiener Erinnerungsstücken kramen. Sie denkt laut und unsentimental darüber nach, was ihre Söhne wohl damit machen werden, wenn sie einmal nicht mehr da sein wird.
Das ist das zweite große Thema dieses Films. Es scheint, dass sich die Kinder und Enkel mehr an der Vertreibungsgeschichte ihrer Mütter oder Großmütter abarbeiten als diese selbst. Eine Tochter erklärt ihre Klaustrophobie mit dem Schicksal ihrer Mutter, ein Enkel bricht bei einer Donaukreuzfahrt mit der Oma plötzlich in Tränen aus. Diese generationsübergreifende Dynamik zu zeigen, ist eine große Stärke des Films. Man spürt, dass dies auch ein dringliches Interesse der Regisseurin war, die ihren jüdischen Hintergrund immer als zu schmerzhaft weggeschoben hatte und sich ihm erst durch den Film nähern konnte. Mirjam Ungers Dokumentation, ursprünglich nur eine Auftragsarbeit, ist so auch eine persönliche Suche nach Geschichten von Vorbildern geworden, Frauen, die den Überlebenskampf gewonnen, sich ein neues Leben aufgebaut haben. Durch die Begegnung mit Wiens verlorenen Töchtern hat die Filmemacherin erfahren, dass es möglich ist, trotz Verlusten und Demütigungen wieder aufzustehen, mit Mut wieder Fuß zu fassen und mit Würde ins Alter zu gehen. Mit Dankbarkeit, doch ohne Anbiederung, ist eine sehenswerte Hommage an eine ganze Generation jüdischer Frauen entstanden.