Philip Roth

New Jersey Blues

von Wolf Scheller

Philip Roth hat sein mittlerweile mehr als 50 Jahre währendes Schriftstellerdasein lang aus dem Stoff seines Lebens Literatur gemacht. Ebenso lang hat er sich paradoxerweise gegen jeden Versuch gewehrt, seine Person in den Protagonisten seiner Bücher wiederzuerkennen. Auch wenn Roth die Helden seiner Bücher auf seinen Namen taufte oder mit sonstigen Ähnlichkeiten versah – Rückschlüsse auf seine eigene Person hat er sich im permanenten Kampf gegen den Wiedererkennungswunsch der Leser immer verbeten.
Diesen Kleinkrieg wird Roth auch mit seinem neuesten Buch Empörung verlieren. Im Zentrum des Romans steht der Student Marcus Messner aus dem jüdischen Viertel von Newark/New Jersey, eben jenem Ort nahe New York, wo auch der Autor seine Kindheit und Jugend verbracht hat. Doch Roth lässt den hochintelligenten Marcus mit 20 Jahren im Koreakrieg von einer Granate zerfetzen – ohne dieses Finale wäre der junge Mann heute so alt wie sein Erfinder. Was heißen soll: Das artifizielle Versteckspiel mit den gleitenden Ebenen und Identitäten ist hier so gewitzt, dass man sich nicht zu wundern braucht, wenn an entscheidenden Punkten immer wieder das eine oder andere vom Profil des wirklichen Philip Roth hervorschaut.
Wie viele Rothsche Helden, der berühmte Portnoy vorneweg, leidet auch Marcus an seinem Elternhaus. Der Vater führt einen jüdischen Metzgerladen und ist krankhaft besorgt um den einzigen Sohn. Die Mutter bleibt zunächst in ihrem Verhalten indifferent, bekommt aber später schärfere Konturen, als sie sich in einer ersten Anwandlung der titelgebenden Empörung gegen ihren Mann auflehnt, sich von ihm trennen will und nur durch die erkennbare Erschütterung des Sohnes ihre Absicht fallen lässt. Die Eltern schicken den hochbegabten Sohn auf ein konservatives College in Winesburg/Ohio (wohl eine Hommage Roths an Sherwood Andersons gleichnamigen Roman von 1919 über Kleinstadttristesse), an dem ein allseits gebilligtes Klima heuchlerischer Moral und traditioneller Repression herrscht. Seine jüdische Herkunft macht Marcus hier zum Außenseiter. Er schließt sich keiner Verbindung an und verweigert sich dem Pflichtbesuch christlicher Andachten. Nicht aus Treue zum jüdischen Glauben: Marcus hält es mit keiner Religion und versteht sich als bekennender Atheist. Es kommt zum Bruch mit dem College, er wird relegiert und zum Wehrdienst eingezogen, den er nicht überleben wird.
Man kann nicht über Juden in Amerika reden, ohne Philip Roth zu lesen – und Roth nicht verstehen, ohne das amerikanische Judentum zu kennen. Das gibt auch in seinem neuen Roman die Kulisse ab. Allerdings geht es diesmal nicht um innerjüdische Konflikte. Roth beschreibt vielmehr den Graben zwischen dem Lebensentwurf eines jungen jüdischen Intellek- tuellen und der trostlosen Atmosphäre einer konservativ-christlich geprägten und durchaus antisemitischen Gesellschaft, hinter deren Prüderie hemmungsloser Unterdrückungswille steckt. Das wird besonders kenntlich in der Auseinandersetzung, die Marcus mit dem Präsidenten des College führt. Der Mann ist Republikaner und rühmt die Tugenden des konservativen Wertekanons bis hin zur Verherrlichung des Kriegs und der ihm innewoh- nenden Gewalt. Marcus setzt dem seine eigene Vorstellung von Lebensführung und Bildungserfahrung entgegen.
Roth zieht alle seine literarischen Register, wenn er Marcus in sein erstes Abenteuer mit einer Kommilitonin führt, in die sein Held sich unsterblich verliebt. Bei Olivia findet der junge Provinzler nicht nur sexuelle, sondern auch emotionale Erfüllung. Da stört ihn auch nicht, dass die Geliebte, wie er erfährt, schon den halben Campus auf ähnliche Weise beglückt hat. Nach so vielen Roth-Romanen, in denen ältere Herren ihr fortgeschrittenes Alter nicht akzeptieren wollen und sich mit Prostata, Inkontinenz und Impotenz herumschlagen, ist es eine willkommene Abwechslung, dass Roth das Spiel um Eros und Thanatos hier einmal einem Jüngeren überlässt.
Philip Roth hat die Geschichte eines jüdischen Rebellen wider Willen geschrieben, in der am Ende der Preis von Empörung und Hingabe mit der grausamen Währung des Kriegs bezahlt wird. So ist Empörung ein Buch, das mitten in unsere Zeit passt. Es ist auch ein Buch über die Strategien von Ausgrenzung und gesellschaftlicher Diskriminierung in den USA – nicht nur vor mehr als 50 Jahren.

philip roth: empörung
Übersetzt von Werner Schmitz
Hanser, München 2009, 200 S., 17, 90 €

Kultur

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