von Brigitte Jähnigen
Es waren die bisher schlimmsten Übergriffe auf einen jüdischen Friedhof in Baden-Württemberg. Mehr als 80 Grabsteine wurden kürzlich auf dem Friedhof Freudental im Kreis Ludwigsburg beschädigt, mit Nazisymbolen besprüht, zerbrochen oder umgeworfen. Geschätzter Schaden: 100.000 Euro. Da wird es wohl höchste Zeit, dass sich in der Landeshauptstadt ein »Forum jüdischer Bildung und Kultur« gründete. Am vergangenen Sonntag präsentierte es sich im Literaturhaus erstmals öffentlich.
Den Schulterschluss zwischen Juden und Nichtjuden angesichts einer Friedhofsschändung zu üben, war zwar nicht die erste erklärte Absicht der Vereinsgründer. Aber um »jüdisches Leben in und um Stuttgart selbstverständlich« zu machen, müssten mehr Möglichkeiten für Begegnungen geschaffen werden, sagt Vorstandsmitglied Michael Kashi. »Mit unserem Verein bewegen wir uns außerhalb des Elfenbeinturmes, den die Gemeinde aufgebaut hat und der manchmal doch sehr gläsern war«, betont Barbara Traub. Ihr und anderen Gründungsmitgliedern war in einer internen Verlautbarung der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW) vorgeworfen worden, ihr Hoheitsrecht zu gefährden. »Wir wollen sowohl ein Forum zur Förderung, Ausübung und Pflege jüdischer Bildung, Tradition und Kultur sein, Begegnungen von Menschen unterschiedlicher jüdischer Strömungen des Judentums ermöglichen, als auch die Begegnung zwischen Juden, Nichtjuden und Vertretern anderer Religionen fördern«, nennt Traub die Ziele des mehr als 50 Mitglieder zählenden Vereins.
Er knüpfe an die reiche Tradition des regen jüdischen Gemeindelebens in Stuttgart an, das vor der Schoa Juden und Nichtjuden auch im kulturellen Bereich zusammenführte. Etwa 4.500 Juden lebten vor 1933 in Stuttgart. Heute zählt die Gemeinde 3.600 Mitglieder in ganz Württemberg. An alte Traditionen direkt anzuknüpfen, dürfte jedoch nicht einfach sein, da die meisten IRGW-Mitglieder aus russischsprachigen Ländern mit einer völlig anderen Kultur kommen. Doch die erste Begegnung im Literaturhaus, wo der israelische Autor und Journalist Meir Shalev mit der Präsentation seines neuen Buches Der Junge und die Taube zum willkommenen Zugpferd wurde, führte tatsächlich alteingesessene und zugewanderte Stuttgarter, Juden, Muslime und Christen zusammen.
Wie subtil Vorurteile formuliert werden können, zeigt die Frage aus dem Publikum an Meir Shalev, ob es denn »in Israel ein christliches Forum« mit ähnlichen Zielen wie das Stuttgarter gebe. Shalev berichtete von den Aktivitäten der vielen christlichen Kirchen in Israel und erhielt prompt Schützenhilfe von Geschichtsprofessor Robert Jütte. »Alle Studenten, die in Haifa Geschichte von der Antike bis zur Gegenwart studieren, müssen einen Grundkurs Neues Testament belegen und sich prüfen lassen.« Vergleichbare Studienprofile wünsche er sich auch in Deutschland. Der Dialog hat offenbar begonnen.