Kaum haben sie sich gesehen, da liegen sie sich in den Armen. Helene Rosenberg und Elisabeth Schultze sind beide in Bad Wünnenberg-Haaren zur Schule gegangen. Während Elisabeth Schultze heute in Paderborn wohnt, lebt Helene Rosenberg in der Nähe von Magdeburg. Doch bei einer Feier wie dem 50-jährigen Synagogen-Jubiläum der Jüdischen Kultusgemeinde treffen sie sich an diesem Sonntag gern. Schließlich sind sie Nachkommen derer, die die jüdische Gemeinde in Paderborn nach dem Krieg wiederbelebt haben.
Klesmer-Klänge von Roman Kuperschmidt und Elik Roitstein sorgen in der Synagoge an der Ecke Borchener Stra-
ße/Pipinstraße für die richtige Feststimmung. Als das Gemeindezentrum am 29. November 1959 eröffnet wurde, da hatte auch Luise Nebel – die Mutter von Elisabeth Schultze – wichtige Arbeit geleistet. »Ich habe damals die ganze Synagoge geputzt«, erzählt sie. Mit ihrem Mann war sie nach dem Zweiten Weltkrieg aus Oberschlesien in den Raum Paderborn gezogen und hatte aktive Gemeindearbeit geleistet.
»Wir wollen mit dieser Feierstunde zeigen, dass wir uns unserer historischen Verantwortung bewusst sind. Jüdisches Leben soll in Paderborn weitergedeihen.«, sagt Rubens und begrüßt die Frauen der ersten Stunde und ihre Nachfahren als »absolut besondere Gäste«. Den Namen Nebel habe sie schon auf der Gästeliste von 1959 ge-
funden, so Rubens. Heute hat die Gemeinde rund 70 Mitglieder, darunter sieben Kinder und Jugendliche.
Paderborns Bürgermeister Heinz Paus erinnerte an die Zeit des offenen Rassismus und Antisemitismus in Deutschland ab 1933. Im Gegensatz zum 50-jährigen Jubiläum der damaligen Synagoge am Busdorf im Jahr 1932 und den kurz darauf folgenden Schrecken durch die nationalsozialistischen Machthaber herrschten heute andere politische Rahmenbedingungen. Die jüdische Gemeinde in Paderborn sei eine »mit hohem Stellenwert«, so Paus. Der Neubau der Synagoge vor 50 Jahren habe symbolisch gezeigt: Es gehe mit dem jüdischen Gemeindeleben in Paderborn weiter.
Integriert Wie sehr die Jüdische Ge-
meinde zur Paderborner Bürgerschaft gehöre, so Paus, zeige auch die Verleihung des Ehrenrings der Stadt an den langjährigen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Erwin Angreß im Jahr 2000. Mit dem zeitgleich geehrten Günter Bitterberg und der ganz aktuell am Freitag für ihre Erforschung der Paderborner Juden ebenfalls gewürdigten Margit Naarmann saßen zwei weitere Ringträger in der Synagoge.
Landrat Manfred Müller blickte zurück und nach vorn zugleich. »Nur in Wahrheit und Ehrlichkeit können wir Deutsche mit unserer Vergangenheit leben«, sagte er. An eine gemeinsame Zukunft habe man schon beim Wiederaufbau der jüdischen Gemeinde geglaubt. Müller sei glücklich über das jüdische Selbstverständnis, ein aktiver Teil der Bürgerschaft zu sein. Und bedankte sich »für das nicht selbstverständliche Geschenk der Freundschaft«.
Viele Facetten prägen heute das Leben der Paderborner Gemeinde. Es gibt soziale Beratung und Sprechstunden, Gymnastik für Ältere und die Möglichkeit, die Bibliothek und Computer der Gemeinde zu nutzen. Dabei denkt Rubens immer an die Vergangenheit. »Wir müssen zeigen, dass wir unser Gemeindeleben in voller historischer Verantwortung führen«, betont die 63-Jährige St. Petersburgerin und dass heute das damalige Leben fortgeführt werde. Die Gemeinde habe dabei alle Juden in ihrem Herzen.
Die jüdische Gemeinde verstand sich historisch als Teil der bürgerlichen Paderborner Gesellschaft. Damals war die Synagoge am Busdorf – dort, wo heute das Mahnmal an ihre Zerstörung erinnert. Nachdem 1933 die Nazis die Macht ergriffen hatten, verschlechterte sich die Lage bekanntermaßen bis zur Reichspogromnacht am 9. November 1938, so Rubens. Viele Familien wanderten aus. »Wer blieb, wurde deportiert«, erzählt sie, »abgesehen von ein paar Personen, die diese Zeit in Paderborn in einem Versteck überlebt haben.« Diese waren einige der Ersten, die zur ersten jüdischen Gruppierung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Paderborn gehörten. Zudem kamen einige zuvor emigrierte Juden und ehemalige Insassen des Arbeitslagers »Im Grünen Weg« zurück, so Rubens.
Genauso wie einige Überlebende der Schoa. 15 bis 20 Personen bildeten den Kern der ersten jüdischen Gruppe an der Pader. Die kleine Gruppe befasste sich zu Beginn stark mit dem Prozess der Wiedergutmachung und dem während der NS-Zeit geraubten jüdischen Vermögen. 1953 wurde mit Juden aus den Kreisen Soest und Höxter die Jüdische Kultusgemeinde Paderborn gegründet.
Traditionsbewusst »Mit uns hat die jüdische Gemeinde in Paderborn zwar nicht ihren Anfang genommen, aber wir setzen diese Tradition fort – und das nehmen wir sehr ernst,« sagt Tanja Rubens. Dieses Jubiläum werde auch gefeiert, »weil wir unsere Gefühle zeigen wollen«, betonte Rubens. Und dazu gehören Klesmer sowie das von allen gesungene Volkslied He wenu schalom alechem.
Von Traditionen und Offenheit will sie auch Jugendlichen berichten. Schulklassen bietet die Gemeinde Führungen an. Den Kontakt können Interessenten unter jg-paderborn@t-online.de herstellen. Beson-
ders freut sich die Vorsitzende jedoch darüber, dass sie die Nachfahren ehemaliger Paderborner Gemeindemitglieder ausfindig machen konnte. »Erst so können wir richtig feiern.«