von Marina Maisel
Gertraud Mansharat hat eineinhalb Stunden draußen gewartet, um das neue Jüdische Zentrum am Jakobsplatz zu besichtigen. »Es ist alles für uns total neu. Wir wollen uns informieren. Ich finde es wichtig, daß es so ein Zentrum in München gibt.« Mit Gertraud Mansharat kamen zum »Tag der Begegnung« am 12. November rund 15.000 Besucher ins Gemeindezentrum. Weil das Interesse nach wie vor außerordentlich groß ist, haben die Veranstalter beschlossen, zu einem weiteren Tag der Offenen Tür einzuladen: für Sonntag, den 10. Dezember.
Die vielen ehrenamtlichen Helfer, Mitglieder der Kultusgemeinde und nichtjüdische Freunde, freuen sich ebenso wie Mitglieder aus dem Vorstand und Gemein- depräsidentin Charlotte Knobloch über das große Interesse an der inzwischen auf rund 9.000 Mitglieder angewachsenen Gemeinde. Die Koordination der vielen Aktivitäten liegt bei der Leiterin des Kulturzentrums der IKG, Ellen Presser. Nicht ohne Grund, schließlich hat sie in den zurückliegenden Jahren für die Gemeinde mit verschiedenen Aktivitäten das Leben der einzelnen Einrichtungen immer wieder nach außen getragen und so zum Kennenlernen dessen beigetragen, was sich in Gemeindehaus, Synagoge, Kultur- und Jugendzentrum oder der Integrationsabteilung für Neuzuwanderer alles tat.
Wie bereits am ersten »Tag der Begegnung« werden auch im Dezember wieder viele Beteiligte mitmachen und alle Türen offen stehen. Im Kinosaal werden Film-Dokumentationen über jüdisches Leben in München laufen. Der Kinderchor »Hasamir« singt. Der Männerchor »Druschba« ist beredtes Zeugnis für die erfolgreiche Arbeit der Integrationsabteilung unter Olga Albrandt. Als besondere Publikumsmagneten haben sich die koschere Bewirtung und der »Marktplatz« erwiesen, auf dem man einkaufen kann. Schauplatz der Begegnungen wird der Hubert-Burda-Saal sein, auf dessen Bühne diesmal vor allem gespielt, getanzt und gesungen wird. Auch Literatur, CDs und Waren aus Israel werden die Besucher wieder zum Schauen und Kaufen locken. Und auch Lernbegierige in Sachen Hebräisch kommen auf ihre Kosten.
Das absolute Highlight des neuen Gemeindezentrums ist die Synagoge mit ihrem lichtdurchfluteten Innenraum und der Ausstattung aus Zedernholz. Architektin Rena Wandel-Hoefer bekam dafür immer wieder anerkennende Worte zu hören. »Die Synagoge ist einer der bedeutendsten und schönsten Sakralbauten, die in Europa in jüngster Zeit entstanden sind«, sagte Oberbürgermeister Christian Ude, befragt von Amelie Fried, über die neue Synagoge. Der Sockel der Synagoge weckt Assoziationen zur Jerusalemer Klagemauer, die lichtdurchflutete Kuppel erinnert an das Stiftszelt, den Hort der Bundeslade.
Beeindruckend ist auch der »Gang der Erinnerung«, der Gemeindehaus und Synagoge verbindet. Die Namen der von den Nazis ermordeten viereinhalbtausend Münchner Juden bleiben so präsent. Für viele Münchner war die Synagoge am Jakobsplatz das erste jüdische Gotteshaus, das sie besuchten.
Immer wieder wurden ähnliche Fragen gestellt: »Wie wird man Jude?«, »Was bedeutet koscher essen?«, »Darf man die Synagoge einfach so besuchen?« Diese Fragen werden auch in Zukunft beantwortet werden, betont Stanislaw Skibinski, der als Jugendleiter gemeinsam mit seinen Mitarbeitern Einblick in die Aktivitäten für Kinder und Jugendliche gibt. Live natürlich, denn die Freude und die gute Stimmung bei den Spielen und Aktionen überträgt sich auf die neugierigen Gäste, und es entwickeln sich spontan Kontakte zwischen jüdischen und nichtjüdischen Jugendlichen. Ähnliche Erfahrungen machten auch die Verantwortlichen im Schul- und Kindergartenbereich. Die Leiterin von letzterem, Marianne Rössel, freute sich über den Hochbetrieb in der »Kindergartenstraße«.
Das Interesse der Eltern von Schulkindern ist genauso groß. Die Direktorin der Sinai-Schule, Antonia Ungar, antwortet zusammen mit den Lehrern auf die vielen Fragen rund um die Schule. Seit dreißig Jahren besteht die Schule in München. Etwa 200 Schüler in zwei Zügen haben in Ganztagesklassen Unterricht. Dabei werden jüdische Religion und Hebräisch, Literatur, Geschichte und Traditionen nicht nur gelehrt, sondern auch gelebt. Was die meisten Eltern nicht wissen: Sowohl die staatlich anerkannte Grundschule als auch der Kindergarten, überhaupt alle Einrichtungen des Gemeindezentrums, stehen allen Bürgern offen, unabhängig davon, ob sie jüdisch sind oder nicht.
Es ist diese Offenheit, die unterstreicht, daß das neue Zentrum der ganzen Stadt gehört. Entsprechend positiv reagieren die Münchner. Für die IKG ist diese positive Einstellung Grund genug, die Türen weiterhin offenzuhalten, das nächste Mal eben am 10. Dezember von 10 bis 18 Uhr.