von Christian Höller
Jahrzehntelang verfuhr Österreich mit »arisierter« Kunst nach dem Motto: Was uns einmal gehört, das geben wir nicht her. Bis heute schmücken viele staatliche Museen Kunstwerke, die Juden während der NS-Zeit geraubt worden waren. Jetzt reagiert das Land fast hysterisch auf die Entscheidung, daß fünf Meisterwerke von Gustav Klimt an die 89jährige, in Los Angeles lebende Maria Altmann – Nachfahrin der in der Nazizeit aus Österreich vertriebenen jüdischen Industriellenfamilie Bloch-Bauer – zurückgegeben werden müssen. Die Gemälde, vor allem Klimts Porträt Adele Bloch-Bauer I – im Volksmund die »goldene Adele« genannt –, kennt in Österreich fast jeder. Der Gesamtwert der fünf Bilder wird auf 200 bis 230 Millionen Euro geschätzt.
»Ein großer Schaden für Österreich!«, titelte das Boulevardblatt Kronenzeitung. Kunsthistoriker sprachen von einem »kulturellen Supergau«. Die Tiroler Tageszeitung fragte rhetorisch: »Was wird Altmann nun mit ihren fünf Klimts machen? In ihrem Wohnzimmer in Los Angeles wird sie die alte Dame sicher nicht aufhängen.«
Dabei grenzt es an ein Wunder, daß die 1916 in Wien geborene und 1938 nach Kalifornien geflohene Altmann den Urteilsspruch noch erlebt. Die Rückgabe der Klimt-Bilder wurde von der Regierung in Wien lange mit allen juristischen Mitteln bekämpft. Die Erbin hatte der Ministerin vor sieben Jahren einen Brief geschrieben und eine außergerichtliche Einigung vorgeschlagen. »Es wurde mir nicht einmal geantwortet«, berichtet sie. Erst als ein amerikanisches Gericht eine Klage von Altmann gegen den österreichischen Staat zuließ, gaben die Behörden klein bei. Altmann und die Republik einigten sich darauf, ein von unabhängigen Experten besetztes Schiedsgericht in Wien über die Eigentümerschaft entscheiden zu lassen. Dieses hat klar geurteilt, daß sich die Bilder zu Unrecht im Besitz des östereichischen Staates befinden.
Seitdem kocht die Volksseele. Die Galerie im Wiener Schloß Belvedere, in der die Klimt-Bilder zu sehen sind, erlebt einen nie da gewesenen Besucheransturm. Mit trauriger Stimme erzählten Besucher im Fernsehen, sie seien gekommen, um sich von den Bildern zu verabschieden. Die Stimmung ist so aufgeheizt, daß die Kunstwerke auf Anordnung der Polizei vorübergehend entfernt werden mußten, nachdem ein Unbekannter gedroht hatte, sie lieber zu zerstören, als sie ins Ausland gehen zu lassen.
Auch die Regierung trägt ihr Teil zur kollektiven Aufregung bei. Kulturministerin Elisabeth Gehrer versuchte zunächst, Maria Altmann dazu zu bewegen, die Bilder an Österreich abzutreten. Offiziell war von verkaufen die Rede, gemeint war aber, daß die Gemälde hergeschenkt werden sollten. Altmann ließ über ihren Anwalt ausrichten, daß sie sich für die Bilder den Marktwert erwartet. Nun plant die Regierung die Gründung eines nationalen Rückkauf-Komitees. Die führenden Banken, Versicherungen und Kunst-Mäzene des Landes wurden aufgerufen, Geldmittel zur Verfügung zu stellen. Sogar der Vorschlag, die Wiener Notenbank solle einen Teil der Währungsreserven auflösen, war zu hören. »Das muß eine nationale Aktion werden. Die Klimt-Bilder sind ein wesentlicher Teil unseres kulturellen Erbes und gehören zur Identität Österreichs«, erklärte Ex-Vizekanzler Erhard Busek, der die Aktion »Österreich in Not« nennen will.
Unter der Hand ist in Österreich dieser Tage wieder oft von »jüdischer Geldgier« zu hören. Maria Altman aber geht es nicht um Geld. In einem Interview mit dem Schweizer Magazin Weltwoche versicherte sie: »Es ging mir einzig darum aufzuzeigen, daß Gerechtigkeit ausgeübt werden kann.« Mit dem Erlös aus einem eventuellen Verkauf der Bilder wolle sie die jüdische Gemeinde in Wien und Kunstschaffende beschenken. »Sicher ist nur eines: Ich werde es nicht für mich ausgeben, weil ich nicht wüßte, wofür.«
Der Streit um die Klimt-Bilder könnte nur der Anfang einer ganzen Welle von Verfahren um »arisierte« Kunst in Österreich sein. Seit einem 1998 in Kraft getretenen »Beutekunst«-Restitutionsgesetz hat das Land zwar 4.174 geraubte Kunstgegenstände zurückgegeben. Allerdings wurde in den staatlichen Museen erst ein Bruchteil des Gesamtbestandes auf seine Provenienz hin untersucht. Eine von der Regierung eingesetzte Kommission hat dem Parlament vor kurzem ihren sechsten Jahresbericht vorgelegt. Darin heißt es, daß bisher nur die Untersuchungen in der Österreichischen Nationalbibliothek und im Bundesmobiliendepot als »weitgehend abgeschlossen« betrachtet werden können. Angesichts der Vielzahl von staatlichen Museen, Bibliotheken, Galerien und Archiven sei »schwer kalkulierbar«, wie lange die Nachforschungen noch andauern müßten.