Herr Saathoff, Sie haben vergangene Woche im Bundeskanzleramt eine »Liste und Daten über jüdische Einwohner zwischen 1933 und 1945« übergeben. Hatten Sie dabei ein mulmiges Gefühl?
saathoff: Nach anfänglichen Zweifeln bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass wir mit diesem Projekt ein wertvolles Werk auf den Weg gebracht haben. Schließlich ermöglicht diese »Liste der verlorenen Bürger Deutschlands« nicht nur weitere Forschungen. Sie ermöglicht auch jüdischen Familien weltweit, nach Geburtsort und Lebensweg ihrer Angehörigen zu suchen.
Warum hatten Sie anfangs Zweifel?
saathoff: Zum einen war ich mir nicht sicher, ob dieses komplizierte Projekt überhaupt in der gewünschten Qualität zustande kommt. Zum anderen hatte ich Zweifel, ob man verständlich machen kann, dass wir auch auf umstrittene Daten zurückgreifen mussten, zum Beispiel die der Volkszählung von 1939. So ist hier der Umgang mit dem Begriff »Jude« zu Recht umstritten. Im Nationalsozialismus war »Jude« ja kein rechtsstaatlicher Begriff, sondern einer, der diffamierte.
Was hat Sie letztlich überzeugt?
saathoff: Wir wollten dokumentieren, dass Deutschland Hunderttausende seiner Bürger verloren hat, denen nun wieder Namen und Identität zurückgegeben werden. Dass diese aufwendige Liste nun in das Eigentum der Bundesregierung übergegangen ist, ist folgerichtig – so kann sie auch an mehrere internationale Archivstätten übergeben und dort für Anfragen oder wissenschaftliche Zwecke genutzt werden.
Gab es auch Vorbehalte von Juden gegen das Projekt? Das Wort »Liste« erinnert fast schon an die Deportationslisten der Nazis. Wie konnten Bedenken ausgeräumt werden?
saathoff: Entscheidend war sicherlich, dass das Bundesarchiv und wir von Anfang an das Gespräch mit jüdischen Organisationen und Wissenschaftlern gesucht und geführt haben. So kamen auch alle Tabufragen auf den Tisch.
Welche waren das?
saathoff: Zentral ging es zum einen darum, auf welche Daten man zurückgreifen kann. Zum anderen mussten wir entscheiden, welche Menschen wir, ohne sie fragen zu können, als Juden benennen. Ich bin dankbar, dass jüdische Institutionen uns hier konstruktiv beraten haben.
Mit dem Vorstand der Stiftung
»Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« sprach Katrin Richter.