von Elke Wittich
»Meine Eltern haben zuerst gar nicht gewußt, was das ist: Bat Mizwa«, sagt die 15jährige Albina und lacht. Weil sie mehr Ahnung hat als ihre Eltern, entscheidet Albina jetzt alles selbst, was mit dem Judentum zu tun hat. So ist sie mit ihren Freundinnen Faina und Anna sowie deren Müttern aus Dresden nach Berlin gekommen. In Vorbereitung auf ihre Bat Mizwa am kommenden Wochenende haben sie hier am Gottesdienst teilgenommen und mit Rabbiner Yitshak Ehrenberg gesprochen.
Zunächst aber sitzen sie in den Räumen der Projektgruppe Lehawa an der Passauer Straße und erzählen, wie es so ist, wenn man sich im höheren Teeniealter auf die gemeinsame Bat Mizwa vorbereitet. »Ich würde mich das alleine wohl nicht trauen«, sagt die 14jährige Anna. »Mit den anderen zusammen ist das aber etwas anderes, das wird sicher schön.« Faina, die 2001 mit ihrer Familie aus Rosdow am Don nach Dresden kam, erzählt, daß sie hier zwar recht schnell in den Religionsunterricht ging, »aber damals konnte ich noch nicht so gut Deutsch, und dann war es zu spät für die Bat Mizwa.« Nun mache man die einmalige Erfahrung eben ein bißchen später – und vor allem gemeinsam. »Das ist Teamwork, und die familiäre Atmosphäre, die dabei unter uns herrscht, ist ja wie im Judentum«, sagt Albina.
Die Mütter der Mädchen schauen ein wenig stolz auf ihre Töchter, vor allem, weil sie durch die Kinder viel lernen. »Bis zur Perestroika hatte ich kaum Ahnung vom Judentum. Zu Pessach aßen wir Mazzen, aber mehr wußte ich nicht«, erzählt Marina, die Mutter von Faina. Das »kurze, aber intensive« Wochenende in Berlin sei für sie ebenso wichtig gewesen wie die Bat-Mizwa-Vorbereitung ihrer Tochter. »Denn ich strebe nach einem bewußteren Leben als Jüdin.« Sie lebe das Leben ihrer Kinder, fügt Marina hinzu. »Allein kann ich ihnen nicht viel materielle Unterstützung geben, aber ich kann sie in eine Richtung schicken und hoffen, daß sie daraus viel für ihr späteres Leben mitnehmen.«
Larissa, die Mutter von Albina, nickt und sagt: »Meine Mutter war Jüdin, trat dann aber zum Christentum über. Zu Hause sprach sie jedoch manchmal Jiddisch.« Die Juristin, die sich derzeit zur medizinischen Fußpflegerin umschulen läßt, erzählt, daß es in Taschkent kein jüdisches Leben gab. »Meine Mutter hat unseren Umzug nicht mehr erlebt, aber ich bin sicher, daß sie sich darüber freuen würde, daß Alina jetzt an die Tradition anknüpft.«
Das Mädchen, das sich selber als »einen Mix aus drei Religionen« bezeichnet, freut sich sehr auf die Aufnahme in die Gemeinde – und berichtet lachend von der ersten bewußten Begegnung mit anderen Juden: »Das war bei einem Winterlager, ich war gerade zehn und stellte fest, daß dort ganz viele jüdische Leute waren. Ich weiß noch, daß ich mich wunderte: Was sind das, Juden? Vielleicht so was wie Türken?« Sie sei zunächst »oberflächlich von den Leuten begeistert« gewesen. »Hier in Deutschland habe ich dann sehr viel gelernt, und als die Religionslehrerin Ruth Röcher uns eine ge- meinsame Bat Mizwa vorschlug, sagten wir alle ›Wow!‹« Den neuen Lebensabschnitt ihrer Tochter verfolge sie »sehr interessiert«, sagt Alexandra, Annas Mutter. »Selber habe ich ja in Nikopol in der Ukraine keine Bat Mizwa gehabt, was schade ist, denn das ist schon eine sehr wichtige Sache.
Was bedeutet ihnen denn diese Bat Mizwa? »Hmmm«, sagt Anna, »ich werde ganz sicher nicht alles perfekt machen, aber das ist ja auch nicht notwendig.« Faina erklärt: »Mein Leben werde ich sicher nicht vollkommen ändern, aber ich hoffe, daß ich mich in dem, was ich bin, verbessert habe. Am Schabbat werde ich sicher die Kerzen anzünden, aber konsequent koscher zu leben, wird allein schon praktisch kaum möglich sein. In Dresden fehlt einfach die entsprechende Infrastruktur.« Mutter Marina fügt hinzu: »Die jüdische Lebensweise, die wir hier erlebt haben, habe ich so noch nie in Deutschland empfunden. Rabbiner Ehrenberg hat die richtigen Worte gefunden, zum ersten Mal habe ich Antworten auf meine Fragen erhalten. Denn ich beschäftige mich sehr damit, ob ich mit dem Umzug nach Deutschland wirklich die richtige Entscheidung getroffen habe, oder ob wir vielleicht nach Israel oder in die USA hätten gehen sollen. Jetzt weiß ich: Wir können auch hier ein jüdisches Leben führen. Denn manche gehen nach Israel, aber es müssen doch auch welche das jüdische Leben hier in der Diaspora weiterentwickeln helfen.«
Ein Resümee des Wochenendes in Berlin und der Bat-Mizwa-Vorbereitungen sei schließlich, sagen die Frauen unisono, »daß wir für die Gemeinde und entsprechend für die Gestaltung des Gemeindelebens mitverantwortlich sind.« Zwiki Tamary von Lehawa nickt: »Das ist eine sehr wichtige Erkenntnis. Die Gemeinde ist so etwas wie eine zweite Mama, und eben nicht nur ein Ort, den man zweimal im Jahr besucht oder ein Museum, in dem es ausschließlich um die Vergangenheit geht. Die Gemeinde sind wir selber!« Marion Kahnemann von der Dresdner Gemeinde, die Mütter und Töchter auf der Berlinreise begleitet hat, stimmt zu. Die Bat Mizwa der Mädchen und der durch die Gemeinde finanzierte Besuch in der Hauptstadt seien »eine absolute Neuheit, so etwas hat es bisher noch nicht gegeben.« Daß die Religionslehrerin Ruth Röcher das verwirklichen half, sei phantastisch. »Denn ohne die Jugend, das steht mal fest, könnten wir zumachen.« Entsprechend wichtig sei es, den jungen Menschen Möglichkeiten zu bieten, sich nicht nur an der Arbeit im Jugendzentrum, sondern auch am Gemeindeleben zu beteiligen. »Das läuft oft einfach noch zu sehr nebeneinander her. Dabei ist doch jeder die Gemeinde. Die eine warme Insel für alle sein sollte. Draußen ist es schließlich kalt genug.«
Je mehr Leute sich engagierten, umso vielfältiger könne sich eine Gemeinde dann auch präsentieren und entsprechend attraktiver sein. »Wünsche entstehen allerdings nur durch Wissen, dementsprechend ist es wichtig, den Mitgliedern Vielfalt zu zeigen.« Die Dresdner Mädchen werden nach ihrer Bat Mizwa mit dafür sorgen. »Wir sind schließlich ein Team«, sagt Faina.