„Berliner Straßenszene“

Nachgezeichnet

von Frank Rothert

Immer noch befinden sich in den Depots deutscher Museen und Sammlungen Hunderte Kunstwerke, deren Vergangenheit ungeklärt ist. Obwohl auch Deutschland zu den Unterzeichnerstaaten der Washingtoner Konferenz des Jahres 1998 gehört, ist das Tempo deutscher Provenienzforschung im Verhältnis zu den europäischen Nachbarstaaten beschämend.
Wie beschämend, zeigt ein neues Buch des Juristen Gunnar Schnabel und der Kunsthistorikerin Monika von Tatzkow, Berliner Straßenszene, das sich mit dem Fall des gleichnamigen Bildes von Ernst Ludwig Kirchner beschäftigt. Schuld an dieser Verschleppung, so die These des Buches, ist eine Gruppe von Restitutionsgegnern, bestehend aus Kunsthändlern, Auktionshäusern, und Museumsdirektoren. Nach zweijähriger Forschung können die Autoren anhand des Einzelfalls Kirchner einen tiefen Einblick in die komplizierte Welt der Provenienzforschung geben.
Um Weihnachten 1918 kaufte Alfred Hess die ersten Kunstwerke, darunter zwei Bilder von Ernst Ludwig Kirchner, eines davon ist die »Berliner Straßenszene«. Schon bald sprach man von der besten Sammlung der modernen Kunst in ganz Deutschland. Als Hess im Alter von nur 52 Jahren stirbt, vererbt er neben unzähligen Grafiken rund 80 Gemälde, die im Familienbesitz bleiben. Im September 1933 kann die Witwe Thekla Hess den künstlerisch wertvollsten Teil der Sammlung in die Schweiz retten, doch 1936 droht die Gestapo ihr, sie als Devisenschieberin zu verhaften, und erzwingt so die Rückführung nach Deutschland. In dieser Zeit beginnt auch die Odyssee der »Berliner Straßenszene«.
Obwohl das Gemälde zusammen mit weiteren Exponaten nur leihweise dem Kölner Kunstverein für eine Marc-Gedächtnis-Ausstellung überlassen wird, die dann doch nicht stattfindet, verkauft es der damalige Geschäftsführer Walter Klug ohne Kaufvertrag an einen Frankfurter Kunstsammler. Erst nach dem Kauf erkundigt sich dieser über den Vorbesitzer. Ernst Ludwig Kirchner teilt dem Sammler noch 1936 schriftlich aus Davos mit, dass es wohl aus jüdischem Besitz stammt.
Bei seinen nach 1945 angestellten Untersuchungen bezeichnet der US-Geheimdienst die Täter als »Rheinland-Gang«. Im März 1951 erhält Thekla Hess vom Kölner Kunstverein nach schriftlicher Anfrage nur ein paar beschädigte Bilder zurück, der Rest sei verschollen. Die »Berliner Straßenszene« findet sich seit 1948 im Frankfurter Städelmuseum und wird dort mit dem Hinweis »Anonym« ausgestellt.
All das wird, manchmal als schwere Kost, in dem Band ausgebreitet, doch es lohnt sich durchzuhalten. Es zeigt sich nämlich nicht nur, mit welchem Gedankengut die Restitutionsgegner argumentieren, sondern auch, wie viel Emotionalität in dieser Thematik steckt.

gunnar schnabel/monika von
tatzkow: berliner straßenszene: raubkunst und restitutionsfragen. der fall kirchner
Proprietas 2008, 152 S., 19,80€

Düsseldorf

Igor Levit: Bin noch nicht fertig mit diesem Land

Am Klavier ist er ein Ausnahmekönner, in politischen Debatten meldet er sich immer wieder zu Wort. 2020 erhielt der jüdische Künstler das Bundesverdienstkreuz - das er nun nach eigenen Worten fast zurückgegeben hätte

 03.02.2025

Berlin

Kreise: Union will Gesetz doch zur Abstimmung stellen

Hinter verschlossenen Türen wurde in den Unionsparteien viel über das »Zustrombegrenzungsgesetz« gesprochen. Nun gibt es laut Teilnehmern eine Entscheidung

 31.01.2025

Kommentar

Der stumme Schrei der Arbel Yehoud

Die Israelin wurde am Donnerstag von den Hamas-Terroristen endlich freigelassen. Die junge Frau muss unvorstellbare Qualen ausgestanden haben

von Nicole Dreyfus  31.01.2025

Kultur

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 30. Januar bis zum 5. Februar

 30.01.2025

Österreich

»Gegen Antisemitismus und Antizionismus aufstehen«

Der Bundeskanzler, dessen ÖVP Koalitionsgespräche mit der rechtsextremen FPÖ führt, sagt, weder Hass noch Ausgrenzung dürfe Platz geboten werden

 27.01.2025

Irland

Eklat mit Ansage beim Holocaust-Gedenken

Nach seinem Exkurs zum Gaza-Krieg bei der Gedenkfeier in Dublin hagelt es scharfe Kritik am irischen Staatspräsidenten

von Michael Thaidigsmann  27.01.2025

Berlin

Scholz zu Auschwitz-Gedenken: Müssen Erinnerung hochhalten

Am 80. Jahrestag der Befreiung des ehemaligen deutschen Vernichtungslagers wird der Opfer des NS-Terrors gedacht. Viele Zeitzeugen sind mittlerweile gestorben

 27.01.2025

Gedenken

Mehr Menschen sollen sich Auschwitz anschauen

Wer einmal dort war, stelle sich die Frage, warum die Erinnerung wachgehalten werden muss, nicht, so Zentralratspräsident Schuster

 26.01.2025

Geisel-Abkommen

Scholz: Es müssen weitere Geiseln freikommen

Noch immer sind auch deutsche Staatsbürger in der Gewalt der Hamas

 25.01.2025