Überholt und überflüssigvon Sylke Tempel
War es der unilaterale Rückzug aus dem Gasastreifen, den Teile des Likud zu verhindert versucht hatten? Der Auszug Ariel Scharons aus der Partei – samt einiger der politischen Schwergewichte und die Gründung der neuen Partei Kadima? Oder die Wahlschlappe im März und die Tatsache, daß Israels neuer Premier Ehud Olmert nicht einmal darüber nachdachte, die Restbestände des Likud in seine Koalition aufzunehmen? Klar ist: Spätestens nach den Koalitionsverhandlungen ist der Likud politisch völlig überflüssig geworden.
Das Sterben der Partei, die in den siebziger Jahren die Vorherrschaft der alten europäischen Elite gebrochen hatte, begann jedoch viel früher. Für die Osloer Grundsatzabkommen hatte der Likud zunächst nur vernichtende Kritik übrig. »Oslo« galt als »Ausverkauf« und »Verrat« – eine Alternative aber wurde nie geboten. Die Folgen für den Likud waren fatal. Statt Politik selbst zu formulieren, mußte sich die Partei schrittweise den veränderten politischen Parametern anpassen. Der Großteil der Israelis wünschte, die »Gebiete« loszuwerden. Ein Rückzug vom Grundsatzabkommen war unmöglich. Auch dem Likud blieb nur geringer Spielraum – höchstens noch, über das Ausmaß des Abzugs zu verhandeln. Kaum war Benjamin Netanjahu 1996 zum Premier gewählt, schüttelte auch er dem »Erzfeind« Jassir Arafat die Hand. Wenig später arbeitete sogar der »Ultrahardliner« Ariel Scharon weitere Rückzüge aus der West Bank aus.
Das Versprechen, das die Partei jahrelang an der Macht gehalten hatte – »Judäa und Samaria auf ewig« zu behalten – war obsolet. Die lange Agonie der Partei begann. Sie merkte es nur nicht gleich, denn sie wurde »künstlich ernährt«. Ironischerweise von Jassir Arafat, der, anstatt die israeli- schen Vorschläge von Camp David und Taba anzunehmen, eine Intifada vom Zaun brach und die Israelis in die Arme von »Mr. Security« Ariel Scharon trieb. Und von einer Wählerschaft, die sich selbst zu den Unterprivilegierten Israels zählt und deshalb eine harte Haltung gegenüber den Palästinensern befürwortet – ohne genau zu wissen, wie und ob eine solche Haltung auf Dauer in Israels Interesse sein soll. Die Palästinenser werden sich auch durch eine Politik der Härte weder in Luft aulösen noch ihre berechtigte Forderung aufgeben, in einem eigenen Staatswesen zu leben.
Gewispert wurde es im Likud schon länger, Ariel Scharon sprach es aus: Wollte der Likud seinem Gründungscredo treu und Israel ein jüdischer und demokratischer Staat bleiben, dann müßte es sich von den »Gebieten« und einer nichtjüdischen Bevölkerung von über zwei Millionen Menschen verabschieden. Nur eine Handvoll Ewiggestriger im Likud glaubte weiter, sich irgendwie um diese Tatsache herummogeln zu können. Mit dem Erfolg, daß Olmert die Grenzen Israels in naher Zukunft mit einer Koalition ohne Mitwirkung des Likud bestimmen wird.
Aus der Partei, die unter Menachem Begin einst das politische Gefüge des jüdischen Staaten umgestürzt hatte, ist ein armseliges Häufchen geworden. Die wichtigsten Entscheidungen für die Zukunft des jüdischen Staates wird sie nicht mittragen. Als Programm bietet der Likud höchstens noch ein paar Rudimente von Netanjahus liberaler Wirtschaftsreform. Ihre Wählerschaft besteht aus den letzten Getreuen vor allem jener Sfarden, die sich so lange vom europäischen Establishment betrogen fühlten – und am meisten unter diesen Reformen leiden dürften. Aber selbst die liberale Wirtschafts- politik dürfte von Olmert mit höchster Priorität weiter betrieben werden. Sonst hätte er das Finanzministerium nicht für seine eigene Partei reserviert und den Ex-Gewerkschaftsboss Amir Peretz ins Verteidigungsministerium »verbannt«.
Die Zeit des Likud ist vorbei. Sie wird wohl auch nicht wieder kommen.
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von Michael Freund
Für einen Wettbewerb, dessen Ausgang weitgehend vorhersagbar war, hat die israelische Parlamentswahl am 28. März doch so einige Überraschungen gebracht. Ehud Olmerts Kadima schnitt weit schlechter ab als erwartet. Nur 29 Sitze, also weniger als ein Viertel der 120 Mandate in der Knesset, gingen an Kadima. Wenige Wochen zuvor hatten Umfragen noch ein Resultat zwischen 40 und 45 Sitzen für möglich gehalten.
Aber die wohl dickste Überraschung war der verheerende Schlag, den die Wähler dem Likud versetzten. Die einst dominierende Partei kam unter der Führung von Benjamin Netanjahu mit gerade mal 12 Sitzen davon, nachdem sie 2003 mit Ariel Scharon noch 38 Mandate errungen hatte. Politische Kommentatoren waren schnell dabei, diese Entwicklung als den »Zusammenbruch des Likud« zu bezeichnen oder eine »demütigende Schlappe« festzustellen. Die israelische Tageszeitung Maariv brachte auf der Titelseite ein Foto von Netanjahu, über dem nur zwei Worte standen: »Der Absturz«.
Netanjahu selbst hat die Niederlage sofort eingesehen und zugegeben, es gebe keinen Zweifel daran, daß der Likud einen »harten Schlag« erlitten hat. »Dies ist eine schwere Stunde für den Likud«, sagte der frühere Minister Danny Naveh, »eine große Katastrophe, die größte in der Geschichte der Partei.«
Keine Frage, der Likud steckt tief im Schlamassel. Die Partei taumelt unter der Wirkung der Rückschläge an den Wahlurnen und ist dazu verdammt, in der parlamentarischen Opposition zu verharren, während Ministerpräsident Olmert sich mit immer weiteren unnötigen Zugeständnissen an die Palästinenser Bahn bricht.
Auch interne Differenzen sind an die Oberfläche gekommen. So hat der frühere Außenminister Silwan Schalom Netanjahus Führungskurs scharf kritisiert und versucht, ihn als Parteivorsitzenden abzulösen. Mit anderen Worten: Der Likud sieht sich scheinbar unüberwindbaren Herausforderungen gegenüber, die seine Zukunft als politische Bewegung in Frage stellen könnten.
Und doch, trotz alledem, bin ich überzeugt, daß die Partei sich nicht nur von diesem harten Schlag erholen wird, sondern daß sie demnächst stärker und besser dastehen wird als zuvor. Der Grund, warum ich dies glaube, ist denkbar einfach: Die Niederlage zwingt den Likud, zu sich selbst zurückzukehren, seine Wurzeln wiederzuentdecken und sich wieder jener Weltanschauung zu besinnen, von der die Partei in den vergangenen Jahren abgekommen ist. Der Likud ist einst an die Macht gekommen, indem er Israels Interessen in den Mittelpunkt stellte. Und indem er darauf bestand, die grundlegenden Werte dieses Staates zu wahren und zu stärken, Werte wie den Glauben, den Zionismus und die Besiedlung des Landes. Es war eine Mischung aus Nationalstolz und dem Glauben daran, für eine gerechte Sache einzustehen, die den Likud für so viele unterschiedliche Wählergruppen attraktiv machte.
Während die Linke Rückzug und Verzagen predigte, betonte der Likud Stärke und Erfolg. Während die Linke versuchte, Teile des jüdischen Heimatlands abzugeben, bemühte sich der Likud, dieses Land zu bebauen und wieder mit Juden zu besiedeln. Als der Likud von diesen Grundwerten zurücktrat, indem er das gescheiterte Oslo-Abkommen und die Etablierung eines Palästinenserstaates stützte, entzauberte sich die Partei für viele ihrer Wähler. Sie erkannten, daß der Likud, für den sie gestimmt hatten, sich gegen sie und ihre Überzeugungen gewandt hatte. Ariel Scharon kam an die Macht, weil er versprochen hatte, den Terror zu bekämpfen. Statt dessen begann er, vor dem Terror zu kapitulieren, und belohnte die Hamas, indem er den Rückzug aus Gasa und Nordsamaria durchdrückte – im Austausch für nichts. Im Grunde hatte der Likud sich die Position der Linken zu eigen gemacht.
Ist es da ein Wunder, daß Zehntausende Israelis, die 2003 für den Likud gestimmt hatten, dies 2006 nicht wieder taten? Wie sollten sie einer Partei vertrauen, die vor der Wahl etwas versprochen hatte, dessen komplettes Gegenteil sie nach der Wahl umsetzte? Die Niederlage an den Urnen sollte der Partei unmißverständlich klargemacht haben, daß es sie geradewegs in den Untergang führt, die Rezepte der Linken zu übernehmen.
Nur mit der Rückkehr zu den eigenen Wurzeln kann der Likud einen großen Teil der israelischen Öffentlichkeit zurückerobern. Der Likud kann seine Wähler zurückgewinnen, wenn er sich wieder hinter dem Bewußtsein für die Notwendigkeit eines starken und sicheren Israels versammelt, das im Angesicht des Terrors nicht in die Knie geht, das keine Juden aus ihren Häusern vertreibt. Als Nichtmitglied lege ich dem Likud nahe, einen Rat zu befolgen, den gute Eltern ihren Kindern mit auf den Weg geben: Versucht nicht, jemand anders sein zu wollen, seid ihr selbst – dann werdet ihr auch erfolgreich sein.