von Alice Lanzke
In der Gegend rund um den Hackeschen Markt in Berlin-Mitte reiht sich eine Designer-Boutique an die nächste, buhlen Szene-Friseure um Kundschaft und laden schicke Cafés zur Pause vom Flanieren ein. Was hier in den Schaufenstern gezeigt wird, ist »hip«. Da passt es ganz gut, dass sich das »Kabbalah Centre Berlin« in dieser Ecke der Stadt angesiedelt hat, schließlich liegt die Kabbala inzwischen im Trend: Stars wie die Sängerin Madonna haben die Adaption der jüdischen Geheimlehre getragen, immer mehr Berühmtheiten zeigen sich mit dem charakteristischen roten Bändchen am Handgelenk.
Kabbala als Teil der Popkultur? »Nein«, widerspricht Hanan Naor vom »Kabbalah Centre Berlin« bestimmt: »Menschen, die sich wirklich mit der Kabbala beschäftigen, werden feststellen, dass das kein Pop ist.« Doch die mediale Aufmerksamkeit hat für das internationale »Kabbalah Centre« um Philip Berg sowie dessen Sohn und designierten Nachfolger Yehuda Berg, die spirituellen Lehrer Madonnas, vor allem Negativ-Schlagzeilen produziert. Geldmacherei und Oberflächlichkeit lauten die Vorwürfe. Mit der ursprünglichen, hochkomplexen Kabbala habe Bergs Lehre wenig zu tun. Die Berichterstattung hat die Verantwortlichen des Kabbalah Centres miss- trauisch werden lassen: Es dauert lange, bis Interviewwünsche beantwortet werden, Presseanfragen an den Berliner Ableger werden von der Zentrale geprüft. Und auch dann betont Hanan Naor, dass er keinesfalls als offizieller Vertreter, sondern als einfacher Schüler spreche: »Was ich von meinem Lehrer Rav Berg gelernt habe, hat mein Leben in allen Bereichen zum Guten verändert. Ich bin so dankbar und glücklich darüber, dass ich es mit anderen Menschen teilen will.«
Mit seiner Frau Michal kümmert sich der Finanzberater nun seit einem Jahr ehrenamtlich um die neue Berliner Dependance, sein Sohn David Naor wird regelmäßig als Lehrer aus London eingeflogen. Einmal die Woche laden sie zur kostenlosen einstündigen Kabbala-Einführung. In den Räumen finden nicht nur die Seminare statt, auch allerhand Lehrmaterial, Bücher, Kalender und natürlich die roten Bändchen werden hier verkauft. Ebenso steht in einem der geschwungenen Metall-regale eine 23-bändige Ausgabe des Sohars, der bedeutendsten Schrift der Kabbala – zu erwerben für 330 Euro. Gerade darüber wurde in der Presse viel berichtet: Schülern werde ans Herz gelegt, gleich mehrere Ausgaben in ihrer Wohnung zu platzieren, um stärker von der positiven Kraft zu profitieren. Dazu kommen die Geschichten über das Scannen der Schriften: So ist es laut Philip Berg nicht notwendig, die Texte wirklich zu lesen. Es genüge, über die Buchstaben zu »scrollen«. Doch diese Darstellung sei ein Missverständnis, korrigiert Hanan Naor: »Die Kabbala sagt, dass die Form der hebräischen Buchstaben eine Kraft hat.« Bei der Betrachtung von Texten oder Buchstabensequenzen werde Energie übertragen. Naor erklärt: »Gehen Sie in die Synagoge: Da stehen Menschen, die Hebräisch nicht lesen können, mit einem hebräischen Gebetsbuch – und schauen auf die Buchstaben! Juden tun das seit Jahrhunderten in den Synagogen: Sie scannen das Gebetsbuch.«
Das Ehepaar Naor verteidigt das »Kabbalah Centre«, ohne dabei verbissen zu wirken. Freundlich, offen und ausführlich gehen sie auf jede Frage ein. Beide betonen den Aspekt der Freiwilligkeit. »Das ›Kabbalah Centre‹ ist weltweit als gemeinnützige Organisation anerkannt«, betont Hanan Naor. Seine Frau führt aus, was Interessierte in der Berliner Zweigstelle erwartet: Nach der Einführungsveranstaltung könne man den Basis-Kurs belegen, für den 220 Euro Gebühren genommen würden. Menschen, die sich das nicht leisten könnten, hätten die Möglichkeit, Stipendien zu bekommen. Dieser Kurs sei die Grundlage, um Kabbala zu lernen. Danach entscheide der Schüler, wie es weitergehe: Er könne etwa Mitglied der kostenlosen »Study Group« werden, die sich regelmäßig treffe, um gemeinsam zu lernen.
Doch das »Kabbalah Centre Berlin« ist nicht die einzige Möglichkeit, sich in der Hauptstadt mit der nun nicht mehr so geheimen Lehre zu beschäftigen. In Schöneberg hat die »ARI-Bildungseinrichtung« seit Mai die Remise eines Hinterhofs be-zogen. Sie ist der deutsche Zweig des Kabbala-Zentrums »Bnei Baruch« in Israel um Rabbi Michael Laitmann. Alexander Stetter, Vorsitzender des deutschen Vereins, empfängt Besucher in den noch etwas chaotischen Räumen. »Der Umzug ist noch nicht lange her«, entschuldigt er sich, um dann gleich auf die komplexe Lehre einzugehen. Auch er betont, dass es nicht um Profit, sondern um die Verbreitung der kabbalistischen Weisheit gehe. »Michael Laitmann hat die Methode der Kabbala in eine moderne Form gekleidet, ihr eine wissenschaftliche Sprache gegeben«, führt Stetter aus. Der aktuelle Boom ist für ihn keine Überraschung: »Der Sohar hat unsere Zeit vorausgesehen, in der die Geheimlehre allen geöffnet werden soll, weil die Menschheit reif genug ist.«
Daher würden die Regeln der orthodoxen Juden, denen zufolge man ein gewisses Alter zum Studium der Kabbala haben sollte, nicht mehr gelten. Die Kritik an der Verbreitung der Kabbala kann er nachvollziehen: »Viele Juden verletzt das, denn sie sind mit diesem Heiligtum aufgewachsen und meinen, nun kämen diese Scharlatane.« Allerdings sei jetzt nun einmal die Zeit, die Kabbala zu öffnen. »Das ist auch eine spezielle Aufgabe der Juden, denn dafür wurde ihnen die Methode gegeben.«
Stetter kann stundenlang über diese Methode reden, über ihr Ziel, die egoisti-sche Natur des Menschen zu korrigieren: Er spricht mit Respekt und Leidenschaft von den Erkenntnissen, die er während seines jahrelangen Studiums gewonnen hat und macht doch immer deutlich, dass dieses Studium intensiver Arbeit bedarf. Er selbst ist kein Jude und kam, wie er erzählt, über die Suche nach Antworten auf »Lebensfragen«, wie er es nennt, zur Kabbala. Diese Antworten will er nun weitertragen: Aus dem noch nicht ganz eingerichteten Raum soll ein Sendestudio wer- den, um Online-Kurse nach US-amerikanischem Vorbild anbieten zu können. Daneben werden bereits kostenlose Kurse vor Ort veranstaltet. »Wir wollen zeigen, dass man nicht Jude sein muss, um die Kabbala zu studieren«, unterstreicht Stetter. Dabei hilft ihm vor allem das Internet, auf der Homepage des Vereins wird auf das Online-Lernzentrum, Weblogs und das auch im Internet verfügbare »Kabbalah TV« verwiesen.
Die »ARI-Bildungseinrichtung« finanziert sich aus Spenden und den Mitgliedsbeiträgen in Höhe von sieben Euro pro Monat, dafür kosten die Kurse nichts. Ein anderes Konzept als beim »Kabbalah Centre«, das Stetter nicht kritisieren will: »Wir kennen das Centre sehr gut, die machen eine großartige Arbeit.« Allerdings würden bei ARI keine roten Bändchen oder dergleichen angeboten. »In diesem Sinne könnte man die Lehre des Kabbalah Centres als Vorbereitungsstufe für unsere authentische Kabbala sehen.«
Das Kabbalah Centre in Mitte und die ARI-Bildungseinrichtung in Schöneberg sind zwei Einrichtungen, die Kabbala mit verschiedenen Ansätzen vermitteln wollen. Welcher der Richtige ist, lässt sich kaum beantworten, mit der Jüdischen Gemeinde zu Berlin haben beide nichts zu tun, auch wenn die Naors Gemeindemitglieder sind. »Ich kann nicht jede Privatinstitution kommentieren«, erklärt Benno Bleiberg, Kultusdezernent der Gemeinde. Zwar beobachte er, dass Religionsmythen scheinbar im Vormarsch seien, wie er sagt, doch er selbst könne für sich keinen Bezug dazu herstellen. Bleiberg hat aber einen Rat für alle, die sich für die Kabbala interessieren: »Die sollten einen Rabbiner fragen, der sich damit auskennt.«