Ich gebe zu: Ich liebe den Kölner Karneval. Weiberfastnacht bis Aschermittwoch – ein großes Fest, mit Höhen und Tiefen und wunderschönen Eindrücken von verkleideten Narren. Die Karnevalszeit ist in meinen Film- und Theaterverträgen geblockt, eine Woche kann ich absolut nicht arbeiten, ich bin eben eine Partymaus, muss tanzen, trinken, singen und mich verkleiden – wild und fröhlich, wer weiß, was der Rest des Jahres bringen wird.
Sich zu verkleiden, ist nichts Außergewöhnliches für mich, sondern Teil meines Berufs. Das Kostüm ist wie eine neue Haut, damit ich den Menschen, den ich für kurze Zeit verkörpere, verstehe, ihm eine Stimme geben kann.
rollen In einer Art Toga spielte ich eine Zeit lang Antigone, die sich Kreon widersetzt und lebendig begraben wird. Dann Hermia, die freche Königstochter, die Lysander liebt, und ich war auch Zettel aus dem Sommernachtstraum, der verwandelt wird in einen Esel und mit der Elfenkönigin Titania schläft. Alles ist möglich, wenn man kostümiert ist.
Natürlich bin ich zu Purim verkleidet in die Synagoge gegangen. Einmal als Kardinal. War kein Volltreffer, man bat mich zu gehen, obgleich ich eine wunderschöne violette Kippa trug. Ein andermal als Heidi im Dirndl mit blonden Zöpfen, meine Söhne trugen Lederhosen. Ich fand uns wunderschön, aber da wir die Einzigen waren, die verkleidet waren, wollten meine Söhne nie wieder hin.
Ich erinnere mich an köstliche Hamantaschen, gefüllt mit Blaubeeren. Später war der Saft der Beeren auf der weißen Dirndlbluse und ging nie wieder raus …
orthodoxe Purim soll man sich nicht nur verkleiden, sondern auch ausgiebig essen und sich betrinken. Leider habe ich das Purimfest nie in Israel verbracht. Ich hätte sehr gern beschickerte Orthodoxe gesehen. Vielleicht hätte ich sie dann lieber gemocht?
Die Megillat Esther habe ich immer gern gelesen. Endlich ein Fest, in dem wir Frauen die Hauptrolle spielen! Allein das ist ein Grund zu feiern, denn es gibt ja nicht so viele Feierlichkeiten dieser Art.
Aber dieses Jahr will mir die Geschichte um die schöne Esther so gar nicht gefallen. Esther, die ihr Volk vor einem Pogrom rettet, aber dafür die Feinde – in manchen Texten steht 75.000! – in den Tod schickt.
Sicher, ein Glück für uns Juden, einem Pogrom zu entgehen, als Lehrstück aber schwierig, und FSK 12 ist die Geschichte sicher nicht.
Was Purim angeht, bin ich diesmal empfindlich, denn der Krieg ist sehr nahe gerückt.
Vielleicht bin ich diesmal, was Purim angeht, besonders empfindlich, denn der Krieg ist seit einem Jahr sehr nahe gerückt. Wenn die Lösung ist, töte diejenigen durch List, die dich töten wollten – und am besten gleich doppelt so viele von ihnen –, dann wird der Krieg nie enden. Ob es wohl noch eine andere Botschaft in der Megillat Esther gibt? Eine, die weniger martialisch ist?
vorgängerin Da ist Waschti, Esthers Vorgängerin. Sie weigert sich, auf der Party ihres Gatten vor seinen betrunkenen Freunden zu erscheinen. Er verstößt sie oder lässt sie köpfen, je nach Überlieferung. Dabei ist Waschti nur eine moderne Frau – eine, die sich weigert, Objekt zu sein.
Dann erscheint Esther auf der Bildfläche. Sie ist weitaus diplomatischer, weniger impulsiv. Sie verheimlicht ihr Judentum, denn das würde sie den Kopf kosten. Sie klagt Haman, der es auf das jüdische Volk abgesehen hat, vor dem König an und rettet damit ihr Volk.
Zwei Frauen, zwei Seiten einer Medaille: die impulsive, störrische und die diplomatisch zurückhaltende. Mutig sind sie beide. Und nun weiß ich auch, was ich im Jahr 2023 beziehungsweise 5783 von der Megillat Esther lernen kann: Ungehorsam und Selbstverantwortung. Klingt groß – ja, das ist es. Und auch nicht ganz einfach.
showgeschäft Natürlich bin ich eine moderne Frau. Ich trage flache Schuhe, wenn ich keine Lust auf Pumps habe, kann allein verreisen und mache den Mund auf, wenn mir etwas nicht passt. Aber im Showgeschäft wird viel mehr von mir erwartet: ewige Jugend oder ein bisschen Botox. Das schönste Lächeln und nicht zu viel Erfolg. Gleiche Arbeit wie die männlichen Kollegen, bei geringerer Gage. Und trotzdem eine grenzenlose Leichtigkeit.
In solchen Momenten an Waschti und Esther zu denken, ist vielleicht nicht verkehrt. Nein, ich möchte kein Nervengift in mein Gesicht spritzen, ich bin 62, das ist keine Schande.
Ja, ich will wissen, was meine Kollegen an Gage bekommen, und ich möchte dasselbe bekommen! Ja, ich kann lächeln und erfolgreich sein, denn ich bin eine Frau, die zeitlebens Multitasking geübt hat.
Und vielleicht, ganz vielleicht, wenn man zusammenarbeitet, Männer und Frauen, Junge und Alte, scheue und mutige, dann kann man sich vielleicht, ganz vielleicht, unterstützen, bereichern, inspirieren und muss nicht gleich in den Konkurrenz- oder gar Tötungsmodus verfallen.
Ist eine Utopie, ich weiß. Aber eine machbare.
Die Autorin ist Schauspielerin, Regisseurin und Schriftstellerin.