von Shlomo Riskin
Wer war Vorbild für Mosche, der eine Revolution gegen den mächtigen Pharao, den König Ägyptens, anführte? Es könnte sein Vater Amram gewesen sein, der, so der Midrasch, das Oberhaupt des Sanhedrins war und sich mächtig ins Zeug legte, um auch unter den hebräischen Sklaven die Traditionen von Awraham, Jitzchak und Jakow am Leben zu halten. Mosches Vorbild könnte aber auch seine Mutter Jocheved gewesen sein, die der Midrasch als eine der Hebammen identifiziert, die sich weigerten, den Befehl des Pharao zu befolgen. Ein gutes Beispiel für Mosche könnte auch seine ältere Schwester Mirjam gewesen sein. Die stritt mit ihrem Vater Amram, um dessen Plan zu vereiteln, hebräische Ehemänner von ihren Ehefrauen zu trennen, damit keine männlichen hebräischen Babys mehr in den Nil geworfen werden würden.
Ich glaube indes, Moses’ tatsächliches Vorbild war seine nichtjüdische ägyptische »Mutter«, die in seinem Leben keine geringere Rolle spielte als Amram, Jocheved und Mirjam. Die Tora schreibt (2. Buch Moses 2,1-4): »Ein Mann aus einer levitischen Familie ging hin und nahm eine Frau aus dem gleichen Stamm. Sie wurde schwanger und gebar einen Sohn. Weil sie sah, dass es ein schönes Kind war, verbarg sie es drei Monate lang. Als sie es nicht mehr verborgen halten konnte, nahm sie ein Binsenkästchen, dichtete es mit Pech und Teer ab, legte den Knaben hinein und setzte ihn am Nilufer im Schilf aus. Seine Schwester blieb in der Nähe stehen, um zu sehen, was mit ihm geschehen würde.«
Die Geschichte geht weiter: »Die Tochter des Pharao kam herab, um im Nil zu baden. Ihre Dienerinnen gingen unterdessen am Ufer auf und ab. Auf einmal sah sie im Schilf das Kästchen und ließ es von ihrer Magd holen. Als sie es öffnete und hineinsah, lag ein weinendes Kind darin. Sie bekam Mitleid mit ihm und sagte: Das ist ein Hebräerkind.«
Anscheinend ahnt die Tochter des Pharao – der Midrasch nennt sie Bitja, »Tochter Gottes« –, was sich im Binsenkästchen befindet und möchte allein sein und es nicht vor Zeugen öffnen. Mirjam, die Wächterin, nutzt den Moment und schlägt vor, man solle eine hebräische Amme für das Kind rufen. Sie bringt Jocheved, seine leibliche Mutter, vor die ägyptische Fürstin, die Jocheved auf der Stelle anheuert. »Als der Knabe größer geworden war, brachte sie ihn der Tochter des Pharao. Diese nahm ihn als Sohn an, nannte ihn Mosche und sagte: Ich habe ihn aus dem Wasser gezogen.«
Der Neziw, Rabbi Naftali Zvi Jehuda Berlin aus Woloschin, und Rabbi Mosche David Cassuto argumentieren, das Wort Mosche bedeute auf Ägyptisch Sohn, wodurch die Aussage Bitjas eine viel tiefere Bedeutung erhält: »(Sie) nannte ihn Mosche und sagte: Ich habe ihn aus dem Wasser gezogen.« Was sie tatsächlich damit sagen wollte, ist, dass sie das Recht erworben hat, ihn als ihren Sohn zu betrachten, da sie ihn aus dem Wasser zog (ein Wortspiel, das sowohl auf das Wasser des Nils verweist als auch eine Allegorie des Fruchtwassers ist) und sein Leben trotz des ägyptischen Erlasses gerettet hat.
So gesehen war die ägyptische Fürstin eine echte Rebellin gegen die ungerechten und unmenschlichen Gesetze des Regimes des Pharao, und sie riskierte ihr Leben, um dieses Kind der Hebräer zu retten. Bitja war wirklich eine zweite Mutter, ein Muster an Mut, Gerechtigkeit und Glauben – und ein glänzendes Vorbild für einen Mann, dessen Name sich als prophetisch erweisen sollte: Auch er würde die hebräischen Sklaven aus den Wassern des Roten Meers »hervorziehen« und sie vom Tod zum Leben bringen, aus der Sklaverei zur Freiheit, aus der Dunkelheit zum Licht. Mosche wurde das Vorbild für den späteren »Moschia«, den Erretter, der letztendlich allen Nationen der Welt Frieden, Freiheit und Erlösung bringen wird. Es ist stimmig, dass unser großer Befreier, der Juden und Nichtjuden die Botschaft der Freiheit gebracht hat, eine Mutter hatte, die von Hebräern abstammte, und eine zweite Mutter, die vom Pharao abstammte.
Der Autor ist Kanzler von Ohr Torah Stone und Oberrabbiner von Efrat, Israel.