schoa-überlebende

muss deutschland mehr für schoa-überlebende in israel zahlen?

Reichtum verpflichtet
von Tom Segev

Keiner hat je genau ausgerechnet, wie viel die Deutschen für ihre Verbrechen an den Juden bezahlt haben. Aber wie die Rechnung auch immer ausfallen würde, weder haben sie genug noch gar zu viel bezahlt.
Die meisten Zahlungen fanden vor der Einführung des Euro statt. Wenn 60 Millionen Deutsche im Zeitraum von 60 Jahren etwa 12 Milliarden Deutsche Mark gezahlt haben, dann entfallen auf jeden von ihnen im Durchschnitt 33 DM pro Jahr. Das sind weniger als eine DM pro Woche, also keine 50 Cent.
Währenddessen ist Deutschland zu einem der reichsten Länder der Welt geworden. Ihren jetzigen Wohlstand haben die Deutschen unter anderem ihrer klugen Entscheidung zu verdanken, den Holocaustüberlebenden Entschädigungen zu zahlen. Hätten sie das Anfang der 50er-Jahre nicht getan, wären sie nicht so rasch wieder in die Völkergemeinschaft aufgenommen worden und hätten folglich auch nicht so reich werden können.
Das ändert nichts daran, dass Deutschland sich gegenüber den Holocaustüberlebenden großzügiger gezeigt hat als Israel. Die Art und Weise, wie Israel mit Bedürftigen umgeht, ist leider kein Ruhmesblatt. Schon gar nicht, nachdem die Regierung Olmert angekündigt hat, die Zahlungen an Überlebende um gerade einmal 83 Schekel pro Monat anzuheben.
Trotzdem gibt es keinen Grund, Deutschland besonders dankbar dafür zu sein, dass die Bundesregierung hat verlauten lassen, sie sei bereit, mit Israel über zusätzliche Zahlungen zu verhandeln. Solange es auch nur einen einzigen Juden gibt, der noch Geld benötigt, um sein Leben in Würde beenden zu können, sollten die Deutschen zahlen, denn sie allein sind schuld an dem, was passiert ist. In Deutschland gibt es nicht wenige, die darüber jammern, sie hätten längst genug bezahlt. Damit stellen sie nur sich selbst ein Armutszeugnis aus.
Es geht nicht darum, bestehende Verträge in Frage zu stellen. Aber worum es sehr wohl geht, sind Bedürftigkeiten, die man damals noch nicht absehen konnte. Und es geht um Menschen, die den größten Teil ihres Lebens hinter dem Eisernen Vorhang zugebracht haben und noch überhaupt keine Entschädigungsleistungen erhalten haben. Die Deutschen sollten froh darüber sein, dass sie den Überlebenden aus der Sowjetunion nicht noch für die kommunistischen Jahrzehnte alles nachzahlen müssen, was ihnen eigentlich zugestanden hätte.
Wenn Deutschland nun bereit ist, auch diesen Überlebenden etwas zu zahlen, dann darf ein Fehler vergangener Entschädigungsvereinbarungen nicht wiederholt werden: Zu viele Überlebende haben nicht bekommen, was für sie bestimmt war, weil der israelische Staat sich einen Teil des Geldes selbst unter den Nagel gerissen hat. Das darf ihm kein weiteres Mal gestattet werden. Nicht der Staat Israel war Opfer des Holocaust, wohl aber mehrere tausend Menschen, die heute dort leben. Jeder von ihnen hat einen Namen, eine Geschichte, eine Wunde. Das Geld aus Deutschland kann jedem von ihnen direkt überwiesen werden. Sie alle haben ein Bankkonto. Die Bank of Israel muss nicht zwischengeschaltet werden.
© Haaretz
Würdeloses Betteln
von Yoram Kaniuk

Es sieht nicht gut aus, Deutschland um noch mehr Entschädigungsleistungen zu bitten. Die heute lebenden Deutschen haben nichts verbrochen, die anderen sind größtenteils verstorben, und für ihre Taten wurde gezahlt. Wie sehr wollen wir uns eigentlich selbst erniedrigen? Israelis, die nie in Deutschland gelebt und gearbeitet haben, konnten sich deutsche Renten erstreiten, die aus den Rücklagen deutscher Arbeitnehmer bezahlt werden. Diese Renten sind großzügiger als das, was Israel anzubieten hat.
Der Gedanke, dass vergossenes Blut Geld wert ist, ist unerträglich. Der Tod eines geliebten Menschen lässt sich nicht mit Geld aufwiegen. Waren die Zahlungen an Überlebende des Holocaust seinerzeit gerechtfertigt, sind Zahlungen an jene, die während des Holocaust in Russland gelebt haben, nichts als ein Schlag ins Gesicht.
In den Anfangstagen Israels wanderten 200.000 Holocaustüberlebende ohne jeden Besitz ein, während das Land infolge des Unabhängigkeitskrieges ohnehin unter Armut und Hunger litt. Israel brauchte dringend Geld, um die Immigranten einzugliedern und die im Krieg stark dezimierte Armee wieder aufzubauen. Also drang Ministerpräsident David Ben Gurion auf ein Entschädigungsabkommen mit Deutschland. Dagegen gab es gewaltige Proteste in Israel, angeführt von Menachem Begin.
Deutschland hingegen erwarb sich durch das Wiedergutmachungsabkommen und die israelische Zwangsvergebung internationale Legitimität. Gleichwohl hatten die Zahlungen einen guten Grund: Es war eine Entschädigung für diejenigen, die persönlich gelitten und ihre Heimat, ihren Besitz oder ihr Leben verloren hatten. Und Israel konnte sich durch die Zahlungen wirtschaftlich erholen.
Heute aber ist es nur mehr verabscheuungswürdig, wenn die Kinder und Enkel von Holocaustüberlebenden mehr Geld verlangen, weil sie während ihres Studiums unter Kopfschmerzen litten. Das ist Chuzpe ersten Ranges.
Wir haben jedes Recht, uns in Deutschland unwohl zu fühlen. Es gibt gute Gründe, Unbehagen oder gar Wut darüber zu empfinden, dass ein Volk, das sechs Millionen Juden in der größten Mordfabrik der Weltgeschichte umgebracht hat, wirtschaftlich so erfolgreich geworden ist. Wir mögen uns über das schwindende Gedächtnis der Deutschen oder über die Haltung der deutschen Medien gegenüber Israel ärgern – aber wir Juden sollten dennoch über ein wenig mehr Stolz verfügen.
Die jüdischen Einwanderer aus Dänemark und die aus dem Irak haben auch gelitten. Verdienten sie nicht auch Entschädigung? Und wenn jede Art von Leid den Anspruch auf Entschädigung begründet – dann lohnt es sich womöglich zu leiden. Anstatt zu arbeiten, legen wir uns einfach auf die Straße, lassen uns überfahren und verklagen anschließend die Firma, die das Auto produziert hat. Und warum sollte eine Frau keine Wiedergutmachungsleistungen verlangen für die Schmerzen, die Schwangerschaft und Geburt mit sich bringen?
Einerseits gibt es tausende Israelis, die einen deutschen Pass haben, und wiederum tausende, die in Deutschland leben, wohin nie wieder zurückzukehren sie einst geschworen haben – so wie stolze Juden Spanien 500 Jahre lang nicht mehr betreten haben. Andererseits wollen diese zynischen Israelis, die im Mercedes durch die Gegend fahren, Entschädigung von jungen Leuten bekommen, weil deren Großeltern Mörder waren. Rentenminister Rafi Eitan, der etwas von Nazis versteht (er war an der Festnahme Adolf Eichmanns beteiligt; d. Red.), hätte uns nicht demütigen sollen, indem er Geld von Deutschen verlangt, die in der Nazizeit noch gar nicht geboren waren.
Niemand, der heute in Deutschland lebt, schuldet uns einen Heller. Nur die deutsche Geschichte schuldet uns etwas. Die Deutschen halfen uns, zu einer erfolgreichen Nation zu werden. Aber wir haben uns in ein Volk ohne Selbstachtung verwandelt. Wir sind schamlos geworden. Wir nehmen alles, was wir kriegen können.
Viele Jahre lang haben Israelis und Juden den Deutschen das Auschwitz-Banner vor die Nase gehalten. Wer hat sie eigentlich dazu bevollmächtigt? Wenn es in unserer Regierung noch jemanden gibt, der Hebräisch zu lesen imstande ist, sollte er diese Bettelreise um deutsches Geld unterbinden. Wir sollten diese beschämende nationale Spendensammelaktion unverzüglich stoppen.

Fernsehen

»Das Schweigen«

Die preiswürdige Dokumentation des Bayerischen Rundfunk erinnert an die Opfer der Schoa – und sollte in Schulen und Bildungseinrichtungen ein fester Bestandteil des Lehrplans werden

von Maria Ossowski  16.10.2024

Baden-Württemberg

Jüdisches Mosaik in Karlsruhe beschädigt

War es ein Unfall, Vandalismus oder eine gezielte Tat?

 15.10.2024

80. Jahrestag

Gedenkstätte Sachsenhausen erinnert an ermordete KZ-Häftlinge

Auch mehrere Kinder und Enkel von Opfern nahmen teil

 14.10.2024

Zahl der Woche

Unsere Zahl der Woche

Fun Facts und Wissenswertes

 11.10.2024

Kulturgeschichte

Erfundene Tradition

Wie das Dirndl zuerst jüdisch und dann nationalsozialistisch wurde

von Karin Hartewig  11.10.2024

Berlin

Wanderwitz: AfD »lebt ein völkisch-rassistisches Menschenbild«

Die rechtsextreme Partei vertrete »ihr Ziel der sogenannten Remigration ganz offen«, sagt der SPD-Abgeordnete

 11.10.2024

7. Oktober 2023

Baerbock betont Israels Recht auf Selbstverteidigung

»Wir stehen an Eurer Seite«, sagt die Außenministerin in Richtung Israel

 06.10.2024

Interreligiöser Dialog

»Jede Klasse ist da sehr verschieden«

Muslime und Juden gehen im Rahmen des Projekts »Meet2Respect« gemeinsam an Berliner Schulen

 05.10.2024

Terror

NRW erhöht Schutz jüdischer Einrichtungen

Der Innenminister reagiert auf den Großangriff des Iran auf Israel mit einem Erlass

 02.10.2024