von Benjamin Hammer
und Stéphane Monteverdi
Ein womöglich antisemitisch motivierter Mord beunruhigt die jüdische Gemeinden in Frankreich. Ein jüdischer Telefonverkäufer aus Paris war Mitte Januar von der Bande »Die Barbaren« entführt und drei Wochen lang schwer gefoltert worden. Dann wurde Ilan Halimi (23) am 13. Februar bei einem Bahnhof in der Nähe von Paris von der Bande ausgesetzt. Eine Passantin fand Halimi – nackt, gefesselt und geknebelt. Auf dem Weg ins Krankenhaus starb er von seinen Verletzungen.
Die Bande versuchte, insgesamt sieben Menschen zu entführen, doch nur bei Halimi schafften sie das auch. Die hinterhältige Masche war immer dieselbe: Die Opfer wurden von einer Frau für ein nächtliches Stelldichein geködert. Dann überfielen die »Barbaren« die Männer, um sie zu kidnappen. Von Halimis Familie und einem Rabbiner forderte die Bande zunächst 450.000 Euro Lösegeld, dann verminderte sie ihre Forderung auf 50.000 Euro. Doch zu vereinbarten Geldübergaben erschienen die Entführer nicht.
Die Polizei nahm sieben Verdächtige fest. Die meist jugendlichen Täter stammen überwiegend aus muslimischen Ländern in Afrika. Der Haupttäter konnte sich offenbar nach Elfenbeinküste absetzen. Es handelt sich um Youssouf Fofana, einen 26jährigen Afrikaner. Er ist der Polizei bereits wegen mehrerer Raubüberfälle bekannt.
Mittlerweile beschäftigt der Mordfall auch die Politik. Frankreichs Premierminister Dominique de Villepin hat Vertretern des jüdischen Dachverbands CRIF eine umgehende Aufklärung des Falles versprochen. Zuvor hatte sich CRIF-Präsident Roger Cukierman an den Premierminister gewandt: »Ist er tot, weil er jüdisch ist? Sie schulden dem Land eine Antwort!« Frankreichs Justizminister Pascal Clement sagte, es gebe Indizien für Antisemitismus. Einer der Verdächtigen habe keinen Hehl daraus gemacht, daß man Halimi angegriffen habe, »weil er jüdisch war und weil Juden reich sind«.
»Ilan wäre nicht getötet worden, wenn er kein Jude wäre«, sagte die Mutter des Opfers, Ruth Halimi, der israelischen Zeitung Ha’aretz. Sie erhob außerdem schwere Vorwürfe gegen die Polizei. Fünf Tage bevor Ilan starb, habe die Polizei die Familie aufgefordert, die Anrufe der Bande zu ignorieren. Zuvor hatten die Halimis mit den Entführern per Telefon verhandelt. »Die haben Dutzende Male angerufen, aber wir sind nicht rangegangen. Und dann ist Ilan gestorben.«
Es gibt weitere Indizien dafür, daß das Verbrechen einen antisemitischen Hintergrund haben könnte. Die meisten der Männer, die die »Barbaren« kidnappen wollten, waren Juden. Außerdem machten die Entführer in Telefongesprächen mit den Eltern von Halimi mehrmals antisemitische Bemerkungen. »Als wir sagten, wir hätten nicht so viel Lösegeld, antworteten sie, wir sollen das Geld in der Synagoge suchen«, sagte der Schwager des Opfers der European Jewish Press (EJP). Am Telefon hätten die Entführer der Familie Koranverse vorgelesen, schreibt die EJP.
Die Bande ging mit großer Grausamkeit vor. Halimis Familie schickte sie Fotos, die Ilan zeigen – nackt, mit einem Sack über dem Kopf und vielen Verbrennungsspuren auf dem ganzen Körper. Die Bilder ähneln Fotos von Geiseln, die im Irak verschleppt wurden.
Unter den französischen Juden hat die Tat große Unruhe ausgelöst. Der jüdische Dachverband CRIF rief die Gemeinden dazu auf, Ruhe zu bewahren. Zuvor hatte es Rufe nach »Rache für Ilan« gegeben. Mehr als tausend Menschen versammelten sich am 17. Februar zur Beisetzung von Halimi. Rabbiner riefen die versammelte Gemeinde dazu auf, für den Toten zu beten. Bei einem spontanen Trauermarsch liefen am 19. Februar mehr als 1200 Menschen zum Telefonladen von Ilan Halimi. Sie demonstrierten gegen Antisemitismus und forderten eine härtere Haltung der Politiker. In einer Rede sagte CRIF-Präsident Roger Cukierman, die Zahl antisemitischer Gewalttaten habe sich 2005 um fast die Hälfte im Vergleich zum Vorjahr verringert. »Diese Entwicklung bedeutet aber nicht, daß die Wurzeln des Bösen verschwunden sind.«