von Helmut Kuhn
»Wir haben ja schon viel gemacht in diesem Haus«, sagte Hermann Simon, der Direktor der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum, unlängst bei der Buchpräsentation und schmunzelte, »aber noch nie einen Krimi vorgestellt.« Der Krimi- und Bestsellerautor Horst Bosetzky, 67, hat einen Roman geschrieben, der im jüdischen Berlin des 19. Jahrhunderts spielt. »Man kann sich doch dem Thema auch mal anders nähern«, sagte Simon.
Das Duell des Herrn Silberstein heißt das Buch von Horst Bosetzky. Es geht um die Baugeschichte der Neuen Synagoge, die zwischen 1860 und 1866 nach Plänen von Eduard Knoblauch errichtet worden ist. Mitte des 19. Jahrhunderst ist die Gemeinde vor allem um Juden aus Osteuropa so stark angewachsen, daß sie den Bau einer neuen Synagoge beschließt. Repräsentativer und größer als alle andern in Europa soll sie werden.
Der (fiktive) Architekt Friedrich Silberstein, ein liberaler Jude und Vertreter der Moderne, bewirbt sich um den Bau. Bosetzky zeichnet einfühlsam das Porträt seiner Frau Sarah, die wie Henriette Herz einen Berliner Salon betreibt, und der Söh-
ne – Advokat der eine, ein beinahe atheistischer Spötter der andere. Bosetzky beschreibt das Scheunenviertel wie Vororte, in denen wohlhabende Juden lebten, und jede nur denkbare Strömung des Judentums seiner Zeit mit großer Akribie.
Dabei habe er – Horst Bosetzky kratzt sich nach der Lesung im Café Silberstein ein wenig verlegen am Kopf – sich mit diesem Roman wohl auf ein »heikles Terrain« gewagt. Natürlich hat er alle »Rabbi-Romane« des amerikanischen Krimiautors Harry Kemelman verschlungen. Ebenso sei er ein großer Freund sämtlicher Woody-Allen-Filme. Aber jüdische Riten beschreiben? Einen Sederabend? Ohne jemals dabei gewesen zu sein?
»Ich saß mit meinem Verleger Norbert Jaron in einem Restaurant und wir sahen die Kuppel der Neuen Synagoge leuchten, als der Gedanke plötzlich aufkam.« Doch schon hegte der Genauigkeitsfanatiker Zweifel. »Bist du denn beknackt? dachte ich. Obwohl ich mal bei einer jüdischen Hochzeit dabei war, konnte ich die Feste nicht auseinanderhalten. Nee, also das schaff’ ich nicht«, war seine erste Reaktion.
Verleger Jaron wandte sich an Hermann Simon von der Stiftung Neue Synagoge. Der versprach Unterstützung und das Manuskript zusammen mit Bill Rebiger vom Institut Judaistik an der Freien Universität vor Drucklegung kritisch durchzusehen. »Und dann hat es mich als Soziologe doch gereizt, die verschiedenen Strömungen und Konflikte innerhalb einer Gemeinde zu erforschen.«
Das ist Bosetzkys Stärke. Viele Jahre wußte niemand in Deutschland, daß sich hinter dem Autorenkürzel »-ky« ein Professor für Soziologie an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege in Berlin verbarg. 1938 geboren, wuchs Horst Bosetzky »im Neuköllner Hinterhof auf«, lernte nach dem Abitur bei Siemens und studierte dann Soziologie, Wirtschaft und Psychologie. 1971 schrieb er seinen ersten Krimi Zu einem Mord gehören zwei. Bosetzky avancierte zu einem der besten und erfolgreichsten deutschen Krimiautoren und gilt als der »Meister des Sozio-Krimis«. Seit zwölf Jahren arbeitet er an einer inzwischen achtteiligen Saga – der Geschichte seiner eigenen Familie von 1717 bis heute.
Der Mann, der die Stadt kennt wie wohl kaum ein zweiter, läuft seine Handlungsorte immer wieder ab. Sportsüchtig sei er, sagt der ehemalige 100-Meterläufer, der 1957 einmal »der schnellste Junge Berlins« gewesen ist. Inzwischen ist er auf Walking umgestiegen und bringt es auf 100 Kilometer im Monat. Und »die Neugier, ja die Liebe zum Konflikt« nähre der vielfache Vater schon in seiner eigenen Familie.
Die Geschichte des jüdischen Teils seiner Familie hatte Bosetzky bereits im dritten Band (Zwischen Kahn und Kohlenkeller) seiner Familiensaga verarbeitet. Darin geht es um seine jüdische Urgroßmutter Albertine Wolfssohn. »Meine Mutter fiel, und ich hasse schon das Wort, als Vierteljüdin noch unter die Rassegesetze. Vater war im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold der SPD auch gegen die Nazis, und Mutter hatte ständig Angst ins Konzentrationslager zu kommen. Noch heute im Altersheim hat sie Angst, irgendwie als Jüdin zu gelten.« Seine jüdische Tante Friedel überlebte untergetaucht in Berlin, eine andere Tante emigrierte in die USA.
Vorbild für das Buch aber sei ihm vor allem Jettchen Gebert gewesen, der Roman einer jüdischen Familie im Biedermeier-Berlin des jüdischen Schriftstellers Georg Herrmann, der 1943 in Auschwitz ermordet wurde. Ihm hat er das Buch gewidmet. Und Bosetzky wäre nicht »-ky«, wenn er sich auf genaue historische Wiedergaben und familiären Zwist beschränken würde. Er will unterhalten, er möchte Spannung erzeugen. Der Architekt Friedrich Silberstein wird schließlich von seinem wichtigsten Konkurrenten Karl-Wilhelm Rana in der Öffentlichkeit ehrabschneidend beleidigt. Silberstein fordert Rana zum Duell. Dabei kommt es zu einer überraschenden Wendung. Nach dem Schuß Ranas sinkt Friedrich Silberstein, am Kopf getroffen, tot zu Boden. Sein Gegner flüchtet völlig verwirrt – denn er hatte meterweit daneben gezielt. Aus dem Architekturwettbewerb wird ein Kriminalfall. Die Idee zum fiktiven Duell wiederum lieferte ihm ein reales Duell, bei dem der Berliner Polizeipräsidenten Karl Ludwig von Hinckeldey 1856 an der Berliner Jungerfernheide ums Leben kam.
Die Wirrungen innerhalb der größten Jüdischen Gemeinde Deutschlands nehmen nun ihren Lauf. Ein Schuft, der in Bosetzkys Roman Parallelen zur Gegenwart herauslesen möchte. Da zieht Bosetzky eine zerfledderte Ausgabe von Jettchen Gebert aus seiner Plastiktüte hervor und präsentiert ein Zitat: »Die größte Diktatur herrscht ja dort, wo es keine bösen Worte gibt.« Triumphierend hebt er den Finger. »Sehen Sie? Das ist für mich ein Diktum.«