Der französische Politologe Gilles Kepel hat sich den Ruf erworben, einer der weltweit besten Kenner des politischen Islam zu sein. Sein Schwarzbuch des Dschihad gilt als Standardwerk. Sein neues Buch Die Spirale des Terrors zeigt erneut, dass er nicht zu den Scharlatanen gehört, die sich für Nahostexperten halten, nur weil sie Sunniten und Schiiten auseinanderhalten können. Eine sauber recherchierte und detailreiche Analyse der Konflikte und Brüche im islamistischen Lager bildet das Herzstück des Buches. Von diesen gibt es so viele, dass von einer einheitlichen Bewegung keine Rede sein kann. Kepel zeigt, dass die Intoleranz gegenüber abweichenden Meinungen zu Spaltungen und interner Gewalt führt. Selbst über die Frage, ob die Einheit aller kämpfenden Muslime erstrebenswert sei, wurde viel und heftig gestritten. So wurde die grausame Ermordung von Schii-ten im Irak von vielen Islamisten und sogar ranghohen Al-Qaida-Mitgliedern abgelehnt.
Kepel zufolge sind diese Brüche bedeutsamer, als die meisten westlichen Beobachter glauben. Ein relevanter Teil des Verhaltens der zentralen Akteure lässt sich nicht aus der Auseinandersetzung mit dem Wes-ten, sondern nur aus internen Machtkämpfen erklären. Die Konkurrenz schwächt zwar die Bewegung, fördert aber auch die Bereitschaft zu spektakulären Aktionen. So gelang es etwa der Hisbollah mit ihren Angriffen auf Israel, den Al-Qaida-Kämpfern im Irak die Show zu stehlen. Kepel ist davon überzeugt, dass wir die Islamisten nur besiegen können, wenn wir die Motive ihrer Führer und Anhänger begreifen.
Das intellektuelle Niveau des Buches sinkt dramatisch, wann immer Kepel sein eigentliches Fachgebiet verlässt. Dann wirft er alles, was ihm nicht passt, in einen Topf. So schreibt er: »Bush und seine neokonservativen Berater auf der einen Seite und Bin Laden, Zawahiri und Al-Qaida auf der anderen Seite kamen mit einer prometheischen Vision daher. Die einen verhießen den Triumph der Demokratie und die anderen den Sieg des Dschihads.« Er schimpft über die »Rhetorik, die den anderen entmenschlichen und diabolisieren will und die bei dem Mörder Zarqawi die schrecklichsten Taten rechtfertigen soll oder die den anderen verspottet wie im Falle der dänischen Karikaturen«, obwohl er sehr genau weiß, dass die dänischen Karikaturisten zur Verteidigung der Meinungsfreiheit aufgerufen haben, Zarqawi dagegen viele unschuldige Menschen auf dem Gewissen hat.
Am Ende des Buches überrascht Kepel mit einem erstaunlich konkreten Lösungsvorschlag. Er fordert »die wirtschaftliche Integration des Mittleren Ostens in den Alten Kontinent mit dem Ziel, dass sich im Süden und Osten des Mittelmeers Unternehmerschichten entwickeln, von denen dann die Demokratisierung ausgehen wird.« Die einzige Alternative zum »neuen Mittelalter« seien die »positiven Zwänge des wirtschaftlichen Fortschritts«. Aber was tun, wenn der wirtschaftliche Fortschritt nicht sofort die erhoffte Liberalisierung bringt, sondern erst einmal die gefährlichsten Regime stärkt? Und wie das neue Mittelalter bekämpfen, wenn es nicht nur den politischen, sondern auch den wirtschaftlichen Fortschritt verhindert? Kepel sollte seine eigene Warnung beherzigen, niemals die Komplexität der Konflikte im Nahen Osten zu unterschätzen. Michael Holmes
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