von Detlef David Kauschke
Die vergangenen Tage waren für Avrohom Radbil ziemlich hektisch. Erst vor wenigen Wochen ist er Vater geworden. Seine Frau Masha brachte Hillel Aron, einen prächtigen kleinen Jungen zur Welt. Am Sonntag vor zwei Wochen feierten sie die Beschneidung ihres Sohnes. Vergangenen Montag war der angehende Rabbiner zur letzten Prüfung in London. Und am Dienstag kommender Woche wird er in München ordiniert. Anschließend steht der jungen Familie ein Umzug nach Köln bevor, wo Radbil die Stelle des Assistenzrabbiners antritt. Viele Veränderungen im Leben eines 24-Jährigen, der nebenbei auch noch sein Psychologiestudium fortsetzt. Aber irgendwie scheint er das alles recht gelassen zu nehmen: »Ich wusste, dass die Zeit kommen wird, wo ich herausgehen werde. Ich habe das Programm schließlich auch gemacht, um anderen etwas geben zu können«, sagt Radbil.
Er ist in der Ukraine geboren, kam 1979 mit seinen Eltern nach Deutschland, lebte in Leipzig, später in Ber- lin. Hier machte er an der Jüdischen Oberschule das Abitur und lernte gleichzeitig an der Jeschiwa. Danach begann seine Rabbinerausbildung. Neben Talmud und Tora ist nicht mehr viel Platz für seine Hobbys Fußball und Schach. Und wenn er mal ein paar freie Minuten hat, dann setzt er sich an den Schreibtisch und verfasst Artikel für die Jüdische Allgemeine. Unlängst widmete er sich dabei der Frage, ob das Ererbte oder das Erlernte einen Menschen mehr beeinflusst. »Nur durch die Entwicklung des geistigen Bewusstseins« vermag der Mensch wirklich etwas zu bewirken, schrieb Radbil in seinem Artikel.
Er und sein Studienkollege Zsolt Balla stehen für diese Entwicklung. Beide stammen aus nichtreligiösem Haus, haben erst über die Lauder-Bildungsangebote zum Judentum und zum modern-orthodoxen Leben gefunden. »Meine Mutter versteht heute noch nicht, wie ich so geworden bin«, sagt der junge Balla lächelnd und beeilt sich hinzuzufügen, dass er seine Mutter verehre und sie inzwischen auch stolz auf ihn sei. Dazu hat sie auch allen Grund: Der 30-Jährige hat bereits ein Diplom als Wirtschaftsingenieur in der Tasche. »Nach dem Studium wollte ich ei-
gentlich nur ein Jahr etwas mehr über das Judentum lernen.« So kam er nach Berlin. Hier traf er – durch rabbinische Vermittlung – seine Frau Marina, mit der er inzwischen eine 15 Monate alte Tochter hat. Und aus dem einen Jahr wurden sechs, aus dem Wirtschaftsingenieur ein jüdischer Gelehrter. Dabei ist er überzeugt, dass er bei seiner künftigen Tätigkeit vom zuvor Erlernten profitieren kann: »Mein Diplom habe ich in Engeneering und Management. Was ich über Management weiß, kann ich in vielen Bereichen des Lebens anwenden, auch in den Gemeinden.« Im Berliner Tagesspiegel erschien schon 2005 ein Artikel über den damaligen Toraschüler, der so gar nicht »dem Klischee eines orthodoxen Juden« entspreche. Da ist was dran. Zsolt Balla spielt gerne Basketball und Squash, interessiert sich für moderne jüdische Musik und tritt mit der Jeschiwa-Band »The Holy Smokes« gelegentlich als Bassgitarrist auf.
Mit Klischees hat das wirklich nichts zu tun. Eher mit einer vielversprechenden Zukunft. Er beginnt sie als »Besuchs-Rabbiner« in Leipzig und als Mann für Programmaktivitäten bei der Lauder-Foundation in Berlin.