Das Leben ist ein Spiel. Und wer es ge-
schickt genug anfängt, für den ist es wie ein Jo-Jo. Mit einem gekonnten Ruck surrt der Kreisel am Band zum Ausgangspunkt zurück. Auch die jüdische Gemeinde Bo-
chum bedient sich offenbar dieser Jo-Jo-Kunst und geht gelassen an die Auf-
gabe, Mitglieder an sich zu binden. Gerade die mittlere Altersgruppe fehlt häufig. Aber da ist eben noch das feine Bändchen. Und wer am Anfang eng genug dran war, den zieht es schnurstracks wieder zurück.
Besuchermagnet Auf der Straße, die zur imposanten und gerade 18 Monate alten Synagoge am Erich-Mendel-Platz hinaufführt, sind noch einige Parkplätze frei. Die Lücken sind wohl dem schlechten Wetter geschuldet, denn die Gemeinde feiert gerade ihr erstes großes Sommerfest. Doch der Schein leerer Parkplätze trügt. »Wir haben eben eine gute Lage, wir sind mitten im Leben«, sagt Sozialarbeiterin Olga Isaak. Mehr als 10.000 Besucher wurden hier seit der Eröffnung bereits bei Führungen begrüßt. Das Interesse der Bochumer ist groß. Man macht schon mal einen Abstecher in die Gemeinde, auch wenn man eigentlich das benachbarte Planetarium besuchen möchte. So auch beim Sommerfest. Die Madrichim sind damit beschäftigt, die ganz jungen Besucher bei Sackhüpfen und Eierlaufen, Basteln und Malen bei Laune zu halten. Die etwas älteren zeichnen Millimeter für Millimeter ihre Vornamen auf Hebräisch. Und die noch etwas älteren Gäste plauschen in der Nähe der Essensstände. Einige sprechen russisch, die meisten – sie sind weder Einwanderer noch Juden, sondern Nachbarn und interessierte Bochumer – deutsch. Die Gemeinde ist integriert.
Knapp 1.200 Mitglieder hat die Ge-
meinde Bochum-Herne-Hattingen. »Damit das so bleibt, müssen wir unsere inneren Reserven aktivieren«, sagt der Vorstandsvorsitzende Grigory Rabinovich. »Wir müssen die Leute ermutigen zu kommen, die bisher noch nicht in das Gemeinde-
leben involviert sind. Aber wir sind zufrieden.« Zu den Gemeindevollversammlungen kämen etwa 150 Menschen, mehr als doppelt so viele würden die Synagoge an Feiertagen besuchen. Auf eine kleinere Zahl aber ist er besonders stolz: »Sonntags ist unser Jugendzentrum voll. Dann kommen 50 bis 60 Kinder und Jugendliche. Die Zahl wächst stetig.«
Angebote Auch ältere Menschen kommen zahlreich. »Mit 90 Jahren kann man hier noch unsere Sprachkurse besuchen, das habe ich selbst erlebt«, sagt Grigory Rabinovich zufrieden. »Und sonst ist es wie in allen Gemeinden: Wir haben Klubs für Frauen, für jüdische Kultur und Ge-
schichte und viele Konzerte.« Aber was ist mit den Menschen zwischen 30 und 50 Jahren? »Vor dieser Frage habe ich immer ein bisschen Angst«, räumt Rabinovich ein. Man würde die Tatsache, dass aus dieser Altersgruppe wenige kämen, nämlich oft dramatisieren. »Es sind nicht so viele, wie wir uns wünschen.« Das habe ihm früher Sorgen gemacht. »Aber wenn ich sonntags die Kinder hier sehe, dann mache ich mir keine Sorgen mehr. Ich bin selbst berufstätig und habe wenig Zeit. Aber wenn ich im Alter Zeit habe werde, dann werde ich kommen.«
Aufschwung Es sei auch nicht die Aufgabe der Gemeinden, den Nachwuchs in die Synagoge zu locken. Sie sollten sich aber »mit dem Judentum identifizieren und die Verbindung nicht verlieren«, er-
klärt Rabinovich. »Wenn wir es schaffen, dass sie sich als Juden fühlen, kommen sie früher oder später zur Gemeinde zurück.« Und Olga Isaak ergänzt: »Wir haben mit dem Neubau so einen Aufschwung erlebt, die Menschen wollen Teil der Gemeinschaft werden.« Zlatan Alihodzic