von Thomas Lachenmaier
Der Europäische Tag jüdischer Kultur hat sich entwickelt. Mit Lesungen, Konzerten, Vorträgen und Führungen wird er im zwölften Jahr seines Bestehens in mittlerweile 31 Staaten begangen. In Deutschland beteiligte sich anfänglich nur der äußerste Südwesten der Republik. In Schwaben nehmen inzwischen 15 Kommunen und Organisationen teil.
Vor elf Jahren hatte es in Straßburg mit Veranstaltungen von B’nai B’rith Hirschler und der regionalen Tourismusbehörde klein angefangen, dann kamen Organisationen im grenznahen Baden dazu, und es wurde daraus der »Elsässisch-badische Tag jüdischer Kultur«. Dann ging die Entwicklung schnell: Zu B’nai B’rith Europe gesellten sich der European Council of Jewish Communities und ein jüdischer Verband in Spanien. Bei den Veranstaltungen ging es in erster Linie um kulturhistorische Belange und um ein touristisches Anliegen: Man wollte das öffentliche Interesse auf diese Orte lenken.
Auf deutscher Seite waren zu Beginn nur wenige jüdische Organisationen und keine jüdischen Gemeinden beteiligt. Laut Konrad Pflug von der baden-württembergischen Landeszentrale für Politische Bildung, die den Kulturtag mitorganisiert, beteiligen sich heute mehr als 30 jüdische Gemeinden im Südwesten. Sie zögen großes Interesse auf sich.
Obwohl die Leitsprüche der Kulturtage wie »Spuren«, »Erziehung im Judentum« oder »koscheres Essen« nicht gerade revolutionär klingen, berichtet die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg in Stuttgart von positiver Resonanz ihrer Gemeinden im Ländle. In Karlsruhe sei der Erfolg auf Anhieb überwältigend gewesen, erzählt David Seldner von der dortigen jüdischen Gemeinde: »Es kamen 800 Menschen an einem Tag. Allerdings hatten wir auch ein großes Programm mit drei Führungen und einem Konzert.« In diesem Jahr gibt es »koschere Köstlichkeiten« sowie Führungen und ein Konzert.
Es komme darauf an, zu zeigen, »dass das Judentum lebt«, betont Seldner. Bei der Synagogenführung erzähle er deshalb auch »nicht nur, was war, sondern vor allem, was ist«. Die Gefahr, das Judentum könne auf die Schoa und den Nahost-Konflikt reduziert werden, sieht er eher in der alltäglichen Medienberichterstattung, weniger bei einer internationalen Veranstaltung wie dem Europäischen Tag der jüdischen Kultur.
Auch Eli Kligler, Vorstandssprecher der Freiburger Gemeinde, bekräftigt: »Kultur ist Gegenwart.« Mit ihrem Angebot beim Kulturtag stoße die Gemeinde auf großes Interesse, sagt auch Bahram Farrokhpur vom Freiburger Vorstand. Eli Kligler verweist auf das breitgefächerte Angebot der verschiedenen Gemeinden: »Jeder bietet nach seinen Möglichkeiten etwas an.« In Freiburg können Besucher die Synagoge besichtigen. Rabbiner Benjamin Soussan spricht dabei über das Judentum allgemein.
Sein Augsburger Kollege Henry Brandt lädt dazu ein, mit dem »Rabbi zu lernen«. Außerdem gibt es einen Schnupperkurs »Hebräisch für Kinder«, eine Buchvorstellung und zwei Konzerte: Liebeslieder und Jiddisches mit der Gruppe NU unter dem Titel »A Hering hot gelakht«. Dass Führungen durch die Synagoge stattfinden, versteht sich von selbst. Schließlich handelt es sich bei der Augsburger Synagoge um »eine der schönsten in Europa«, sagt der Gemeinderabbiner mit Freude. Im vergangenen Jahr kamen 800 Gäste.
Auch die Rottweiler Gemeinde ist in diesem Jahr wieder dabei. Geschäftsführerin Tatjana Malafy ist überzeugt: »Das bringt Popularität für Jüdischkeit und für unsere Gemeinschaft. Wir zeigen alles und sind stolz darauf.« Inzwischen gebe es eine Religionsklasse, eine kleine Bibliothek und eine koschere Küche. Im vergangenen Jahr seien jüdische Studenten aus Stuttgart begeistert von den koscheren Kulinarien gewesen. »Das ist ja wie bei einer jüdischen Mamme«, meinten sie, erinnert sich Malafy. In diesem Jahr wird unter anderem eine Broschüre vorgestellt, die an den Filmtheoretiker Julius Rosenstiel erinnert, der in den 30er-Jahren emigrierte. An seinem Geburtshaus soll eine Tafel angebracht werden.
Die im Thema der Kulturtage angesprochenen »Spuren« führen von Rottweil bis nach Isfahan im heutigen Iran. Von dort kamen Bildkacheln mit jüdischen Symbolen und Segenssprüchen aus einem ehemaligen jüdischen Viertel an den Neckar.
Die Teilnahme am Kulturtag wird in Rottweil auch als ein Teil der Integration in die politische Gesellschaft gesehen. Tatjana Malafy freut sich, dass der Bürgermeister sein Kommen zugesagt hat. Auch David Seldner in Karlsruhe sieht den Kulturtag als Chance und Aufgabe, sich zu öffnen. Der kulturelle Beitrag der Gemeinde zum Leben in der Stadt sei auch bei anderen Gesprächen nützlich. »Das wird von der Stadt honoriert, die Stadt hilft uns auch.«
Politische Anerkennung findet das Engagement ebenso in Mainz. Ministerpräsident Kurt Beck hat die Schirmherrschaft für die Veranstaltungen der jüdischen Gemeinde übernommen. Unter anderem findet ein Konzert mit dem Basler Kantor Marcel Lang statt. »Wir sind jetzt zum dritten Mal dabei und haben mit 220 Besuchern immer volles Haus«, erzählt Janusz Koroszczyk, der Geschäftsführer der Gemeinde.
In dem Schwarzwaldstädtchen Sulzburg bei Freiburg entwickele sich inzwischen ein regelrechter Besuchertourismus, sagt Jost Grosspietsch vom »Freundeskreis ehemalige Synagoge Sulzburg«. Es gibt Gäste, die an diesem Tag zwei Veranstaltungen in Baden – etwa in Sulzburg und Breisach – und noch eine im Elsass, zum Beispiel in Colmar, besuchen. Manche sehen darin gar eine sportliche Herausforderung und schwingen sich aufs Fahrrad.