von Andreas Bock
Die Nachrichten aus Ungarn über rassistisch und antisemitisch motivierte Vorfälle reißen nicht ab. Nach einem Mordanschlag in der vergangenen Woche auf eine Roma-Familie ist es laut Dachverband der jüdischen Gemeinden in Ungarn (Mazsihisz) auch zu antisemitischen Ausfällen gekommen. Ein Kommunalpolitiker in dem nordwestungarischen Dorf Rajka habe seine Amtskollegen in einer Sitzung aufgefordert, die nahe gelegene Synagoge in der Kossuth-Straße mit »Sicheln und Hacken« anzugreifen. Mazsihisz sieht durch diesen Aufruf die Grenzen der Meinungsfreiheit deutlich überschritten. Der Verband zeigte den parteilosen Abgeordneten Attila Kiss deshalb bei der zuständigen Polizeidirektion des Komitats Györ-Moson-Sopron an.
Zudem stößt sich der Verband daran, dass Kiss sich in einem im Internet veröffentlichten Brief darauf beruft, Mitglied der stark umstrittenen rechtsextremen »Ungarischen Garde« zu sein. Nach eigener Aussage tritt die Garde gegen »Zigeunerkriminalität« und für die »Pflege ungarischer Kultur und Werte« ein. Im Dezember verbot das Stadtgericht Budapest den Trägerverein der »Ungarischen Garde« mit der Begründung, dass sie Roma und anderen Minderheiten mit ihren Aufmärschen Angst einjage und gegen das Vereinsrecht verstoße.
Durch die Anzeige der Mazsihisz gegen den parteilosen Kiss ist inzwischen auch der Jüdische Weltkongress (WJC) auf den Vorfall aufmerksam geworden. In einer Mitteilung protestierte der Verband gegen antisemitische Hassreden und Fremdenfeindlich- keit in Ungarn. WJC-Präsident Ronald S. Lauder betonte, solche antisemitischen Anspielungen seien nicht hinnehmbar. Derartigen Aussagen müsse mit starken politischen Aktionen begegnet werden, sagte er in Richtung ungarischer Regierung, die an einem Gesetz arbeitet, das volksverhetzende Hassreden sanktionieren soll.
Kiss selbst wies alle Anschuldigungen und Rücktrittsforderungen zurück. Er habe sich bei seinen Äußerungen nur versprochen und lediglich auf die Regierung in Budapest angespielt. Die würde die ungarischen Interessen nicht vertreten, deshalb seien die Gemeinden in schlechtem Zustand. Er habe persönlich nichts gegen Synagogen, und dass sich in den nahe gelegenen Städten Györ und Mosonmagyarovár jüdische Gebetshäuser tatsächlich in der Kossuth-Straße befinden, habe er erst hinterher erfahren.
Bei den jüdischen Gemeinden allerdings nimmt ihm das niemand ab. Der Leiter der jüdischen Gemeinde in Györ, Tibor Villányi, findet es unerträglich, dass ein Kommunalpolitiker so etwas sagt. Kiss versuche, die schlechte wirtschaftliche Situation auszunutzen. »Viele Menschen, die weniger informiert sind, lassen sich gerade in Krisenzeiten durch solche Äußerungen mobilisieren.«
In Ungarn schlägt die Hassrede des Politikers aus Rajka keine hohen Wogen – im Gegensatz zu den Mordanschlägen von Tatárszentgyorgy: Ein Mann und sein vierjähriger Sohn – beide Angehörige der Roma-Minderheit – starben, nachdem Unbekannte einen Brandanschlag auf das Haus der Familie verübt hatten.
Allein im vergangenen Jahr wurden in Ungarn 16 Anschläge auf Roma und ihre Häuser registriert. Dabei kamen vier Menschen ums Leben. »Die Auseinandersetzung mit Pogromen gegen Roma sind wichtiger als Aussagen eines Kommunalpolitikers«, findet Ádám Schönberger, Leiter eines jüdischen Vereins in Budapest. »Dagegen sollte man sich wehren. Es kann nicht sein, dass in Ungarn Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe und Andersartigkeit umgebracht werden.« Dies führe letztlich auch zu Gewalt gegenüber anderen Minderheiten, auch gegen Juden.
Die an der Grenze zu Österreich und der Slowakei gelegene 2.300-Seelengemeinde Rajka war wegen antisemitischer oder rassistischer Vorfälle bisher nicht in den Schlagzeilen. Auch im Gemeinderat tut sich der politische Graben zwischen dem postsozialistischen und national-konservativen Lager, der das Land spaltet, nicht auf. Die vor gut zwei Jahren gewählte Gemeindevertretung zu der auch Attila Kiss gehört, setzt sich ausschließlich aus parteilosen Mitgliedern zusammen.