Georg Soanca-Pollak

Mit Licht und Farbe

von Miryam Gümbel

Gut 32 Meter lang ist der Gang, der vom Gemeindezentrum unterirdisch zur Synagoge führt. Die Lichtquelle kommt von den Wänden, angenehm hell, nicht zu grell. Sie blendet nicht und lenkt den Blick so auf die weiß hinterleuchteten Flächen. In unterschiedlicher Farbintensität sind darauf Namen zu lesen, 4.500 Namen. Sie erinnern an die 4.500 Münchner – und mit ihnen an alle sechs Millionen Menschen –, die während der Schoa ermordet worden sind.
Geschaffen hat diese Rauminstallation der Künstler und Lichtdesigner Georg Soanca-Pollak. Mit der Schoa hat er sich schon lange auseinander gesetzt. Seit mehr als zehn Jahren betreibt er so etwas wie »persönliche Spurensicherung«. Vor zwei Jahren hat er zusammen mit Andreas Heusler vom Münchner Stadtarchiv die Installation »Bilder der Erinnerung« realisiert. Grundlage für die Rauminstallation war das »Biografische Gedenkbuch der Münchner Juden 1933-1945«, das vom Stadtarchiv herausgegeben worden ist. Georg Soanca-Pollak wählte 40 Einzelporträts aus dem Gedenkbuch aus, um sie in einem neuen Kontext erfahrbar zu machen.
Bei dieser Gelegenheit hatte er auch IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch und Vizepräsident Marian Offman kennengelernt. Ihnen blieb diese Arbeit in Erinnerung. So wurde der 1967 in Klausenburg geborene Künstler gefragt, ob er das Gedenken an die sechs Millionen ermordeter Juden für das Gemeindezentrum festhalten könne und wolle.
Er wollte. Allerdings nicht mit der anonymen Zahl von sechs Millionen. Er wählte stellvertretend für alle Opfer der Schoa die 4.500 ermordeten Münchner aus. »Hinter jedem der sechs Millionen Toten steht ein Individuum. Und dieses wollte ich zeigen.« All diese einzelnen Menschen sind gleichwohl eingebunden in die unvorstellbar große Zahl aller: Auf der einen Seite des Gangs sind die Namen zu lesen, auf der anderen Seite verweisen der Davidstern und einzelne Begriffe und Daten auf die Geschichte, Tradition und Glauben.
Sie sollen den Betrachter zum Assoziieren einladen. »Hier wollte ich die historischen Fakten klar benennen«, sagt Soanca-Pollak, »dem Besucher darüber hinaus je- doch auch Freiräume zum eigenen Gedenken und Erinnern geben«. Die Worte in der Wand hat der Künstler so gewählt, dass der Besucher am Ende der 32 Meter im Hier und Jetzt ankommt. Dies wird dadurch symbolisiert, dass als letzter Begriff das Datum 9. November 2006 zu lesen ist – jener Tag, an dem die neue Münchner Hauptsynagoge eröffnet wurde.
Damit schließt sich der Kreis zwischen Erinnerung und Zukunft. Und damit ist dem Künstler sein Ziel gelungen, »die Besucher zu ermutigen, selbst nachzudenken und ihre eigenen Emotionen, die sie beim Betreten des Raumes spüren, zu reflektieren.«
Das bestätigt sich immer wieder bei den Führungen von Marian Offman und Ellen Presser, die von der Münchner Bevölkerung gerne und mit großer Beteiligung angenommen werden. Die Reaktionen sind sehr individuell. Da gibt es Menschen, die nach Vorfahren auf den Namenstafeln suchen. Andere Besucher sind erstaunt, dass »so viele durch und durch deutsch klingen«. Wieder andere zeigen sich erschüttert von der Tatsache, dass ein einziger Familienname mit mehreren Vornamen über viele Zeilen läuft. Manchem wird erst da bewusst, dass ganze Familien ausgelöscht wurden.
»Manchmal ist es gar nicht so leicht«, erzählt Ellen Presser, »die Leute aus dem Korridor herauszubringen. Dass die Menschen sich hier auf sehr moderne, zeitgenössische Weise mit der Geschichte auseinander setzten können, verleitet sie dazu, stehenzubleiben und zu lesen.«
Damit ist Georg Soanca-Pollak genau das gelungen, was er sich zum Ziel gesetzt hatte: »Was ich nicht mag, ist, den Zeigefinger in die Wunde zu legen. Ich wollte dem Betrachter die Möglichkeit geben, sich selbst seine Gedanken zu machen.« Den Weg dabei hat er ihnen mit seiner Installation gewiesen. »Lernen«, sagt er, »ist ein wichtiger Aspekt, auch aus der Erfahrung der anderen. Das Darüber-Sprechen war mir auch sehr wichtig. Reden darüber, was man empfindet.«
Hier werden seine persönlichen Erinnerungen wach: »Ich kenne das auch von meiner Großmutter. Sie konnte erst mit den Enkeln über die Erfahrungen aus der Zeit der Schoa sprechen.« Für ihn als Mensch und Künstler ist das eine Herausforderung: »Wenn die Zeitzeugen nicht mehr da sein werden, muss es eine Möglichkeit geben, weiter über das Geschehene zu sprechen. Vergangenheit ist das eine, Zukunft das andere.«
Mit seiner Lichtinstallation hat er eine dieser Möglichkeiten erfolgreich umgesetzt. Er hat die Verbindung geschaffen zwischen Vergangenheit und Zukunft. Dass diese sehr emotional wurde, war ihm bei der schwer greifbaren Thematik sehr wichtig: »Jeder einwickelt seine eigene Verbindung, weil jeder zu diesem Punkt andere Gedanken hat. Die einen haben eine Familie verloren, andere jemanden, den sie persönlich kannten. Für wieder andere muss es auf eine andere Weise präsent werden.«
Bei all dem wollte er dem Betrachter Luft lassen, ihn nicht erdrücken. Das ist ihm mit der architektonischen Umsetzung seiner Lichtinstallation gelungen. Das Licht hinter den Tafeln mit den Namen ist die einzige Lichtquelle im Raum. Sie beleuchtet auch die gegenüberliegende Wand. Die Namen der Toten begleiten den Besucher auf dem gesamten 32 Meter langen Weg. Die Menschen, die ums Leben gekommen sind, bleiben auf diese Weise gegenwärtig.
Für Georg Soanca-Pollak war die Umsetzung eine Herausforderung. Der Künstler, der seit 1982 in Deutschland lebt, studierte an der Kunstakademie in Nürnberg und arbeitet als Innenarchitekt und Lichtdesigner. Die technische Umsetzung seiner Installation im Gang der Erinnerung hat die auf Glasgestaltung und Mosaik spezialisierte Mayer’sche Hofkunstanstalt in München übernommen. Es sind sechs hintereinander montierte Glasscheiben. Jeweils auf dreien stehen die mit Licht durchlässiger Farbe geschriebenen Namen. Die verschiedenen Tafeln bewirken eine Plastizität, aber auch die unterschiedliche Intensität und damit die Wechselwirkung der Namen.
»Licht«, sagt Georg Soanca-Pollak, »ist das Symbol für die Seele der Menschen.« Wenn er selbst durch den Gang geht, dann kommen auch für ihn mit den Namen die Spuren der Menschen aus der Tiefe des Raums wieder ins Gedächtnis. Für ihn, der aus einer Familie stammt, die zu mehr als der Hälfte in Auschwitz umkam, ist die lichte und positive Atmosphäre in dem Gang wichtig: »Es fällt mir noch heute schwer, Fotos von der Familie anzusehen. Wir stehen zwischen Rationalem und Gefühl, zwischen Gänsehaut und sich Zusammenreißen.« Da gibt ihm der Erinnerungsgang, gerade weil er so unprätentiös ist, ein gutes Gefühl.

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