von Rabbiner Jaron Engelmayer
Mens sana in corpore sano – ein gesunder Geist in einem gesunden Körper. So lautete eines der Lebensprinzipien der alten Römer. Als begeisterter Fußballer und leidenschaftlicher Skifahrer kann ich diesem Spruch nur zustimmen. Wenn ich allerdings vom wöchentlichen Training mit einer blutigen Zehe oder einem blauen Auge nach Hause komme, regen sich schon hin und wieder Zweifel, ob diese Sportarten die Gesundheit wirklich fördern.
Immer mehr Menschen versuchen, sich fit zu halten, Berge zu erklimmen und Gewichte zu stemmen. Sind wir das nicht uns und der Gesellschaft schuldig? Überhaupt: Wie steht das Judentum zum Sport? Welchen Stellenwert besitzt die körperliche Ertüchtigung? Zunächst finden wir in der Tora die Anweisung, das Leben an sich zu behüten und zu bewahren. »Du sollst nicht morden!« So lautet das sechste Gebot des Dekalogs. Aber nicht nur auf das Leben des Mitmenschen, auch auf das eigene Leben soll geachtet werden. Sogar ganz besonders, wie die Tora mehrmals betont: »Hüte deine Seele sehr!« (5. Buch Moses, 4,9 und 4,15). Von diesem Satz leiten manche jüdische Gesetzesautoritäten ab, dass zum Beispiel das Rauchen verboten sei, da es der Gesundheit einen klaren, nachweisbar lebensverkürzenden Schaden zufügt.
Diese Anweisungen jedoch warnen nur vor den Folgen schädlichen Verhaltens, fordern aber nicht dazu auf, die Gesundheit zu fördern. Diese Lücke wird durch Maimonides gefüllt. In seinem Hauptwerk Mischne Tora widmet der große jüdische Gelehrte der Gesundheit ein ganzes Kapitel (Hilchot Deot, Kapitel 4)! Bemerkenswerterweise gliedert er dieses Thema in sein halachisches Werk ein und sieht in ihm somit einen Teil des jüdischen Gesetzes, also gewissermaßen eine Verpflichtung und nicht bloße Empfehlung.
Einen großen Teil dieses Kapitels widmet Maimonides den Essgewohnheiten. In ihrer Missachtung erkennt der Philosoph die Hauptursache für gesundheitliche Probleme. Daraufhin kommt er auf allgemeine gesundheitsfördernde Verhaltensregeln zu sprechen und schreibt: »Solange ein Mensch sich viel abmüht und sich nicht mit Essen füllt ..., kommt keine Krankheit über ihn, und seine Kraft wird gestärkt!« (Hilchot Deot 4, 14). Was Maimonides unter »sich abmühen« versteht, definiert er an anderer Stelle: »Was bedeutet ›sich abmühen‹? Das ist ... wer geht, bis er angestrengt ist und schwitzt« (Hilchot Schabbat 21, 28). Diese Worte machen deutlich, dass körperliche Bewegung bis hin zu Anstrengung und Schwitzen – was wir heute wohl kurz als »Sport« bezeichnen würden – aus jüdischer Sicht nicht nur wünschenswert, sondern halachisch empfohlen ist, wenn nicht gar befohlen.
So einfach stehen die Dinge aber nicht. Mit den Urvätern des modernen Sports, den antiken Griechen, stand das Judentum in jeder Hinsicht auf Kriegsfuß! Sie waren es, die ihre Körper in Gymnasien und Stadien zu ertüchtigen pflegten. Sie führten über 1000 Jahre lang (von 776 v. bis 393 n. der allgemeinen Zeitrechnung) im Vierjahresrhythmus die Olympischen Spiele durch. Als die Griechen den Juden aber ihre Kultur und Philosophie aufdrängen wollten, wehrten sich diese vehement dagegen und rebellierten. Den erfolgreichen Ausgang dieses Aufstands feiern wir bis heute alljährlich mit dem Chanukka-Fest.
Aber hätten die Juden nicht wenigstens die griechische Einstellung zur körperlichen Ertüchtigung ohne Widerstand übernehmen können? Ganz und gar nicht. Das Inakzeptable an der griechischen Körperkultur liegt in der Weltanschauung, die sich hinter ihr verbirgt. Die Griechen rückten den Menschen ins Zentrum ihres Weltbilds. Da sich alles um ihn dreht, wird die Entwicklung seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten zum Selbstzweck. Diese Weltanschauung hält das Judentum für verwerflich! Körperliche Gesundheit, Stärke und Ästhetik sind lobenswert, aber nur, wenn sie im Dienste von etwas Höherem stehen. Körper und Geist sind nicht die Hauptsache, sie sind bloß Mittel zu höherem Zweck: der Seele! Sie findet ihre Erfüllung in der Erkenntnis G’ttes, wofür sie den Geist braucht, und im Dienst vor G’tt, wofür sie den Körper braucht. Durch diese Elemente verbindet sich der Mensch mit dem ewigen Fortbestand seiner Seele. Ist der Körper aber krank oder geschwächt, wird es ihm teilweise oder gar gänzlich unmöglich, G’tt zu dienen. Deswegen legt Maimonides nahe: »Möge der Mensch sich zu Herzen nehmen, dass sein Körper vollkommen und stark sei, damit seine Seele aufrecht sei, G’tt zu erkennen.«
Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Aachen.