Herr Benz, die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien soll über die Frage entscheiden, ob die Schriften des Waldorf-Gründers Rudolf Steiner rassistisch sind. Sind sie auch antisemitisch?
Das kann man sicherlich nicht so pauschal beantworten. Man findet eine unendliche Fülle von Zitaten in Steiners Werk, in denen er sich mit Rassen auseinandersetzt und unglaubliche Sachen über »Neger« sagt, aber man kann daraus nicht ohne Weiteres schließen: Das ist antisemitisch.
Die Waldorf-Bewegung weist Antisemitismus-Vorwürfe zurück und sagt, die vermeintlich antisemitischen Stellen seien aus dem Zusammenhang gerissen.
Das sagt man immer, wenn etwas unangenehm ist. Die Waldorf-Bewegung verweist dann auch darauf, dass Steiner mit vielen prominenten Juden befreundet war oder dass jemand aus seinem Umkreis von Yad Vashem als Gerechter unter den Völkern geehrt wurde. Aber das beweist gar nichts, außer einem hektischen Eifer, den Führer der Bewegung von jedem Verdacht reinzuwaschen. Das allein ist schon verdächtig.
Steiners Verteidiger argumentieren, er müsse auch rhetorisch im Kontext seiner Zeit gesehen werden.
Adolf Hitler muss auch im Kontext seiner Zeit gesehen werden. Das entschuldigt gar nichts.
Der Kriminologe Christian Pfeiffer hat festgestellt, dass Ausländerfeindlichkeit bei Waldorf-Schülern seltener vorkommt als bei Schülern staatlicher Schulen.
Ich bin davon überzeugt, dass die Waldorf-Pädagogik sehr viele sehr gute Elemente hat. In einer Waldorf-Schule werden soziale Eigenschaften sicherlich besser trainiert als in manch anderer. Das ist aber keine Entschuldigung dafür, dass der Gründer mit judenfeindlichen Stereotypen hantiert hat, was er zweifellos tat.
Wie sollten die Waldorf-Schulen zukünftig mit den Schriften Steiners umgehen?
Sie sollten einfach der historischen Wahrheit ins Auge sehen und sagen: Unsere Pädagogik ist die eine Sache. Aber deshalb muss unser Gründer nicht für alle Zeiten als Lichtgestalt wahrgenommen werden. Wir müssen auch erkennen, dass er unglaublich rassistisch, also auch in einem völkischen Sinne argumentiert hat, und dass nicht alles, nur weil es von Rudolf Steiner kommt, der Weisheit letzter Schluss ist.
Mit dem Direktor des Zentrums für Antisemitismusforschung sprach Katrin Richter.