von Burkhard Schröder
Wenn der Bundesinnenminister den jährlichen Verfassungsschutzbericht vorstellt, ist das ein Ritual mit vorab bekanntem Inhalt: Die Extremisten von links und rechts werden manchmal ein wenig mehr, dann ein bisschen weniger. Der Innenminister habe aber alles im Griff. Weil man jedoch Vorsorge treffen müsse, dass es auch so bleibt, müssen mehr Befugnisse und mehr Mittel für den Inlandsgeheimdienst her. Seit Anfang der 90er-Jahre erfährt die Öffentlichkeit jährlich neu, dass die Rechtsextremen insbesondere das Internet und die Musik zur Rekrutierung neuer Anhänger, zur Kommunikation und für Propaganda nutzen.
Damit es nicht langweilig wird, muss in der fast 300 Seiten umfassenden Jahresbilanz der Verfassungsschützer mindestens einmal die Formulierung »neue Qualität« vorkommen: Im Jahr 2007 bezog sich das auf den »schwarzen Block« der Neonazis, dessen Outfit nicht der Skinhead-Subkultur entlehnt, sondern von den linken Autonomen übernommen wurde. Zur Zeit gibt es in Deutschland – laut Verfassungsschutz – ungefähr so viele dieser militanten Neonazis, wie der Fußballverein Erzgebirge Aue durchschnittlich pro Spiel an Zuschauern anzieht – ein paar Hundert.
Die Zahlen des Verfassungsschutzberichtes sind nützlich für politische Propaganda oder die Eigenwerbung des Innenministeriums, faktisch taugen sie nicht viel. Die Bundesregierung hat im Oktober in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der »Linken« zugegeben, dass sie etwa bei einer rechtsextremen Musikveranstaltung über die Kriterien Ort, Datum, Musikgruppe und Liedermacher keine Auskunft erteile, »da die rechtsextre- mistische Szene aus dieser Veröffentlichung Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand der Sicherheitsbehörden ziehen könnte«. So erklärt sich, dass die Presse über Beschlagnahmungen berichtete, die in den Verfassungsschutzberichten der Länder nicht erwähnt wurden.
Was ein »politischer« Straftatbestand ist, wird durch die Polizei der jeweiligen Länder definiert und erst dann dem Bundeskriminalamt weitergeleitet, das dem Bundesverfassungsschutz als Quelle dient. Die Kriterien sind aber auch hier jeweils unterschiedlich. Der ehemalige Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye sagte der Thüringer Allgemeinen, im Osten Deutschlands würden die Zahlen aus Angst vor Imageschäden geschönt.
Sprachlos bleibt der Verfassungsschutzbericht auch bei den hausgemachten Skandalen. Im Frühjahr 2007 hatte das sächsische Innenministerium die Neonazi-Schlä- gerbande »Sturm 34« verboten, die ein Jahr lang die Region Mittweida terrorisiert hatte. Während des Prozesses im April 2007 stellte sich heraus, dass der Wortführer und Mitgründer der rechten Terrorgruppe ein Informant der Staatsschutzabteilung der sächsischen Polizei war. Die fragwürdige Praxis, die ultrarechte Szene mit V-Leuten durchsetzt zu haben, war auch einer der Gründe, dass der Versuch, die NPD zu verbieten, seinerzeit vor dem Bundesverfassungsgericht scheiterte.
Wolfgang Schäuble sieht aber nicht organisierte Antisemiten und Rassisten oder gar Linksextremisten als größte Gefahr für Deutschland, sondern islamische Terroristen. Wer damit genau gemeint ist, bleibt im Verfassungsschutzbericht relativ vage. »Islamistische Organisationen« hätten rund 33.000 Mitglieder und weiteren Zulauf. Eine reale Gefahr wird vor allem mit den Drohvideos im Internet, unter anderem »der al-Qaida nahestehenden Globalen Islamischen Medienfront (GIMF)« begründet. Die Trennung zwischen Ausländern und Deutschen, die im Verfassungsschutzbericht bei fast jedem Thema gemacht wird, erscheint jedoch nicht sinnvoll, da die meisten islamistischen Gefährder aus Deutschland auch die hiesige Staatsbürgerschaft besitzen.
Die Quellen des Verfassungsschutzes über extremistische Muslime stammen vornehmlich aus den Medien. Eine Infiltration mit Spitzeln ist in diesem klandestinen Milieu kaum möglich. Dennoch hat der jährliche Bericht einen gewissen Nutzen: Einen knappen Überblick über politische und religiöse Sekten erhält man hier schneller als im Internet mit Google oder auf Wikipedia.