von Daniela Breitbart
Die Gesichter der Besucher, die am Freitagabend zum Schabbatgottesdienst in die Frankfurter Westendsynagoge eilen, sind angespannt, ihre Blicke vorsichtig. Manche Gottesdienstbesucher erschrecken förmlich, machen gar einen Schritt zur Seite, als sie angesprochen werden. Viele aber gehen einfach starren Blicks weiter, tun, als hätten sie nichts gehört. Es scheint, als sitze ihnen der Schrecken über die Bluttat, die vor einigen Tagen nicht weit von hier an dem orthodoxen Rabbiner Zalman Gurevitch begangen wurde, immer noch in den Gliedern. Genau eine Woche ist es her, dass der 42-Jährige von einem südländisch aussehenden jungen Mann angesprochen worden war und mit einem Messer attackiert und schwer verletzt wurde. (Vgl. Jüdische Allgemeine vom 13. September.)
Dabei hat für die jüdische Gemeinde in Frankfurt am Main das neue Jahr 5768 im Prinzip gut begonnen. Am vergangenen Donnerstagabend konnte die Polizei den mutmaßlichen Täter festnehmen. Sie war durch das Internet dem Messerstecher auf die Spur gekommen. Ein Bekannter des Täters hatte in einem Internetforum den Tathergang genauestens beschrieben und veröffentlicht. Ein 22-jähriger afghanischstämmiger Deutscher gestand schließlich, mit seinem Messer mit einer knapp acht Zentimeter langen Klinge auf den Rabbiner eingestochen zu haben. Er bestritt jedoch, dass er den Rabbiner habe töten wollen und dass er überhaupt ein antisemiti- sches Motiv gehabt habe.
Doch nur wenige, die an diesem Freitagabend in die Synagoge eilen, stimmen mit jenem Beter überein, für den mit der Ergreifung des Täters jetzt wieder alles gut und vorbei ist. Oder pflichten dem Synagogenbesucher bei, der sich wieder so wohl fühlt wie vorher. Den meisten ist der Schreck über das Geschehene noch deutlich anzumerken. »Das war etwas, das einen nachdenklich macht. Damit ist ein Stück weit die Unschuld verloren gegangen«, sagt ein Synagogenbesucher. Ein anderer bestätigt: »Das war eine furchtbare Tat. Ich hoffe, sie bleibt ein Einzelfall.« Ihre Namen möchten sie nicht nennen. Eine junge Zuwanderin aus der ehemaligen Sowjetunion erklärt, sie habe sich in Deutschland noch nie richtig sicher gefühlt: »Frankfurt ist an sich okay. Aber ich würde hier nicht unbedingt mit einem Davidstern herumlaufen.« Auch ein junger Mann gibt zu: »Ich verstecke meine Kippa immer unter einer Mütze, das ist mir sonst zu unsicher hier.« Ein hartes Urteil für Frankfurt, eine Stadt, die für sich in Anspruch nimmt, besonders weltoffen und multikulturell zu sein. »Doch es gibt auch Antisemitismus hier, sowohl von den Rechten als auch von extremen Moslems. Denen kann man kaum beikommen«, äußert ein Gottesdienstbesucher. »Vielleicht ist er von den Islamisten geschickt worden«, befürchtet sein Begleiter. Ganz geklärt sind die Motive des Attentäters bislang nicht. Zeugen wollen gehört haben, dass der Angreifer dem Rabbiner zugerufen habe: »Scheiß-Jude, ich bringe dich um«. Der Täter selbst gab an, er habe den Rabbiner mit dem orientalischen Gruß »Salam alaikum« angesprochen. Bei der anschließenden verbalen Auseinandersetzung habe er sich Gurevitch körperlich unterlegen gefühlt und deshalb zugestochen.
Eine Messerattacke aus Imponiergehabe? Die Frankfurter Gemeindemit- glieder halten das für wenig wahrscheinlich. »Das war ein klares antisemitisches Signal«, sagt ein weiterer Synagogenbesucher. Der Rabbiner sei als solcher klar zu erkennen gewesen. Wie aber steht es um eine Gesellschaft, in der Gläubige ihre Überzeugung nicht erkennbar zeigen dürfen, ohne einen Angriff befürchten zu müssen? Ein Frankfurter Gemeindemitglied meint, weder die Attacke selbst noch die Verhaftung des Täters habe seine eigene vorsichtige Haltung verändert. »Seit hundert Jahren ist es immer dasselbe – Hass, Diskriminierung und Vernichtung. Daran hat sich nichts geändert. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann wieder etwas passiert.« Der Täter ist anscheinend gefasst – aber kann Frankfurt wirklich aufatmen?