Nach den Reaktionen auf israelkritische Äußerungen während der Abschlussgala der Berlinale hat der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, vor einer Verbotskultur gewarnt.
»Die Debatte über den Nahostkonflikt und den Gaza-Krieg wird an vielen Orten emotional geführt. In Deutschland geht es mit der spezifisch deutschen Geschichte und speziell mit dem Holocaust einher. Deswegen haben wir ein Spannungsfeld zwischen der politischen Positionierung wie der Festlegung auf eine deutsche Staatsräson zu Israel und einem Kulturbetrieb, in dem antiisraelische bis israelfeindliche Positionen von großen Teilen der Community mitgetragen werden«, sagte Mendel der Nachrichtenagentur dpa in Berlin.
Während der Berlinale-Gala am Samstagabend war der Nahostkonflikt mehrfach thematisiert worden. Zahlreiche Mitglieder aus Jurys sowie Preisträger forderten verbal oder mit Ansteckern einen Waffenstillstand im Gaza-Krieg. In einer Dankesrede für eine Auszeichnung war die Rede von einem Völkermord - angeblich begangen durch Israel. Die Äußerungen stießen anschließend in Politik und Verbänden auf Kritik und Empörung.
Debatten aushalten
»Ob es uns gefällt oder nicht, wir müssen lernen, solche Debatten auszuhalten. Es wird nicht anders funktionieren. Eine Verbotskultur wie bei der Debatte um eine Antidiskriminierungsklausel in Berlin und Versuche, das alles von der Politik zu regulieren, funktionieren nicht«, sagte Mendel.
Auch der israelisch-deutsche Publizist machte eine einseitige Positionierung für die Seite der Palästinenser aus. »Andere Aspekte oder Blickwinkel der anderen Seite wurden völlig ausgeblendet.« Es sei sehr einfach, das zu kritisieren.
Eine andere Frage seien Erwartung an die Berlinale-Leitung. Berlinale-Chefin Mariette Rissenbeek habe »sehr ausgewogen Bezug genommen zu der Situation vor Ort«. Sie habe den Krieg in Gaza und die Situation der Zivilbevölkerung der Palästinenser angesprochen und über die Geiseln gesprochen.
Gut oder schlecht
»Dass die Gewinnerinnen und Gewinner der verschiedenen Preise die Bühne für Symbole nutzen oder Ansprachen, um politische Äußerungen zu betätigen, kann man gut oder schlecht finden.« Für die Organisation der Berlinale sei es sehr schwer, da zu intervenieren. »Solche Vorstellungen sind realitätsfern und hätten die Situation keineswegs besser gemacht.«
Mendel sprach von Provokationen einzelner Teilnehmer, die durch die Kritik eher mehr Aufmerksamkeit bekämen. »Eine Provokation ist keine ausgewogene Darstellung.« Dies lasse sich kaum unterbinden.
Nach seiner Erfahrung schaden solche Debatten bei der Bekämpfung von Antisemitismus mehr, als dass sie nützten. »Es wäre falsch, alle diejenigen, die Israel einseitig und mit zum Teil auch radikalen Positionen kritisieren, als Antisemiten zu bezeichnen.«
Mendel warnte zudem vor Ausgrenzung. »Wir bekämpfen eine Ideologie des Boykotts des Staates Israel. Nun wird versucht, dagegen mit genau den gleichen Mitteln vorzugehen, nämlich mit Boykott von denjenigen, die Israel einseitig kritisieren. Die Antwort auf Boykott kann nicht Boykott sein. Die Antwort auf Boykott kann nur Begegnung, Diskurs, Streit sein.«