von Julia Albrecht
»Ich würde als Gesetzgeber die Holocaust-Leugnung nicht unter Strafe stellen.« Mit dieser Äußerung hat der jüngst in den Ruhestand getretene Bundesverfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem eine heikle Debatte angestoßen. Empört reagierte der Zentralrat der Juden in Deutschland. Dessen Generalsekretär Stephan J. Kramer sagte: »Es ist unverantwortlich, dass sich eine Koryphäe der Rechtswissenschaft beim Thema Holocaust-Leugnung solche Kapriolen leistet.« Hoffmann-Riem habe fahrlässig den Holocaust-Leugnern ein Argument in die Hände gespielt. »Damit hat er der Meinungsfreiheit keinen Dienst erwiesen.«
Hoffmann-Riem, der sich beruflich immer wieder mit Fragen der Meinungsfreiheit auseinandergesetzt hat, äußerte seine Bedenken gegen ein Verbot bestimmter Äußerungen im Anschluss an einen Vortrag zum Versammlungsrecht, den er auf einer Tagung im Wissenschaftszentrum Berlin gehalten hatte. Thema der Veranstaltung: »Versammlungsfreiheit auch für Rechtsradikale – Kapitulation des Rechtsstaats?« In der anschließenden Diskussion zeigte sich Hoffmann-Riem skeptisch, ob man dem Problem des Rechtsradikalismus mit Verboten beikommen könne und ob es »politisch klug« sei, auf diese Weise »Märtyrer zu schaffen«.
Die Strafbarkeit der Auschwitz-Leugnung gibt es in der heutigen Form erst seit 1994 – eingeführt wurde sie als Unterfall der Volksverhetzung in Paragraf 130, Absatz 3 des Strafgesetzbuchs. Der Bundestag hatte sie damals beschlossen, weil der zunehmende Antisemitismus und eine als ungenügend empfundene Rechtslage dazu Anlass gaben. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte die Leugnung des Holocaust in der Regel als Beleidigung mit einem Strafrahmen bis zu einem Jahr geahndet werden, in Einzelfällen auch wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener mit bis zu zwei Jahren. Heute reicht der Strafrahmen des Paragrafen 130, Absatz 3 StGB bis zu fünf Jahren Haft.
Hoffmann-Riem ist mit seiner Ansicht unter Juristen keineswegs isoliert. Der Strafrechtswissenschaftler Winfried Has- semer, auch er früherer Bundesverfassungsrichter, sagte bereits im Juni in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, er sei »kein Anhänger der Strafbarkeit der Holocaust-Leugnung. Natürlich ist das ein deutsches Sonderproblem, das sich unserer unseligen Geschichte verdankt. Aber es wäre mir recht, wenn wir dieses Sonderproblem nicht mehr hätten.« Grundsätzlich sei er »kein Freund solcher Tatbestände, die falsche Meinungen unter Strafe stellen«, so Hassemer. Aber geht es nur um Meinungen?
»Bei der Leugnung von Auschwitz wird doch eine Aussage als Meinung kaschiert«, meint Raphael Gross, Direktor des Fritz Bauer Instituts in Frankfurt am Main. »Dahinter steht aber eine Tatsachenäußerung, die zum Inhalt hat: ›Alle Holocaust-Überlebenden lügen.‹ Das ist ebenso wenig harmlos wie der Ausruf: ›Es brennt!‹ in einem gefüllten Theater.« Damit spricht Gross einen Aspekt an, der auch in der Rechtsprechung immer wieder eine Rolle spielt: Bestimmte, als Meinung dargelegte Äußerungen unterlägen überhaupt nicht dem starken Schutz der Meinungsfreiheit, weil es sich eigentlich um Tatsachenbehauptungen handle.
Auch Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin, ist für die Aufrechterhaltung des Verbots: »Wir schulden der Würde der Opfer einen minimalen Respekt«, so Benz, und dem diene auch das Unterstrafestellen der HolocaustLeugnung. »Ich habe kein Verständnis dafür, dass man die Meinungsfreiheit höher stellt als die Menschenwürde.« Darüber hinaus hält Benz das Verbot auch politisch für wichtig: »Es ist eine Grunderkenntnis jeder Pädagogik, zu sagen: Bis hierher und nicht weiter!«
»Ich würde das Verbot der Auschwitz-Leugnung wieder abschaffen«, argumentiert hingegen Peter Pulzer, gebürtiger Österreicher und emeritierter Professor für Staats- und Verwaltungsrechts am Old Soul College, Oxford. »Der Sauerstoff der schlechten Presse ist doch besser als der Stickstoff der Zensur«, so Pulzer. »Nur wenn wir das Verbot wieder abschaffen, können wir unsere Gegner öffentlich mit Argumenten bekämpfen.«
Fest steht, dass die Verharmlosung der nationalsozialistischen Verbrechen in Anbetracht der historischen Tatsachen eine gefährliche Lüge und darüber hinaus auch mit dem moralischen Grundkonsens der Bundesrepublik Deutschland unvereinbar ist. Unklar aber bleibt – sowohl verfassungsrechtlich als auch im Hinblick auf die Grundwerte einer freiheitlichen Demokratie –, ob man tatsächlich einzelne Meinungen oder bestimmte Äußerungen unter Strafe stellen sollte. Die Meinungsfreiheit steht nicht ohne Grund weit oben auf der Liste der Grundrechte. Es ist ein wesentliches Merkmal von Demokratien, dass die freie Meinungsäußerung nur in engen Grenzen eingeschränkt werden darf.