von Bruno Engelin
Das ist wahre Globalisierung: Noch vor 20 oder 15 Jahren wäre die Frage, worin sich die Bedeutung des Sports in Amerika und in Europa unterscheidet, als akademisch abgetan worden. Doch 1994 gab es die Fußball-WM in den USA, es gab den Versuch, American Football in Europa zu popularisieren; der Frauenfußball, in dem sowohl die USA als auch Deutschland zu den stärksten Nationen zählen, hat an Bedeutung zugenommen; der Würzburger Dirk Nowitzki ist einer der Stars der amerikanischen Profibasketballliga NBA, und mit David Beckham kickt einer der Großen des europäischen Fußballs in Amerika.
Die Untersuchung des amerikanischen Sozialwissenschaftlers Andrei Markovits und seines deutschen Kollegen Lars Rensmann – beide lehren an der University of Michigan in Ann Arbor – behandelt also ein bemerkenswert aktuelles Thema. Zu den Themen, denen sich die beiden nähern, gehören auch »Sport und jüdische Identität in Europa und den USA«. Schaut man sich die sehr geringe Bedeutung jüdischen Sports in der europäischen Gegenwart, nicht nur in Deutschland, an, vermag man die Bedeutung vielleicht nicht sofort zu erkennen. Zumal Sport vor allem in Deutschland als, wie es gerne heißt, »weltanschaulich neutral« präsentiert wird. Dabei hat er hier wie dort natürlich viel mit Identitäten zu tun. Sport ist immer eine Einladung, sich mit bestimmten Rollenmodellen zu identifizieren und andere abzulehnen.
Im professionellen Baseball in den USA hat es immer wieder berühmte jüdische Spieler gegeben, die mehr als jeder jüdische Nobelpreisträger Stolz und Identifikation vermitteln konnten. Zumal wenn sie, wie die berühmten Hank Greenberg oder Sandy Koufax, ihren sportlichen Erfolg riskierten, weil sie partout nicht an Jom Kippur spielen wollten (vgl. Kolumne).
Wann welche Sportart als jüdische Sportart galt und wie sie dazu wurde, ist ein weiteres Thema des Bandes von Markovits und Rensmann, und das Kapitel über »›Muskeljuden‹ und ›Yiddoes‹« gehört zu den stärksten in diesem ohnehin nur zu empfehlenden Band. In anderen Teilen beschäftigen die Autoren sich damit, wie Sport Nationalismus hervorbringt und partiell auch überwindet, wie sich das Geschlechterverhältnis im amerikanischen und europäischen Sport jeweils ausdrückt, und sie erklären – für europäische Leser ein ganz wichtiges Kapitel –, wie der hierzulande (auch vom Rezensenten) stets unverstandene Collegesport funktioniert und wieso er identitätsstiftend wirkt.
Die Leser des Bandes sollten allerdings mit sozialwissenschaftlichem Jargon leidlich vertraut sein. Wenn es etwa heißt, der Fußball habe »eine global dynamische Expansionsentwicklung genommen«, dann fragt man sich, ob man das nicht hätte einfacher formulieren können.
Trotz dieses – alles in allem zu vernachlässigenden – Einwandes gilt: Das Buch von Markovits und Rensmann ist eine Fundgrube für solche Leser, die zumindest ahnen, dass es bei dem großen kulturellen und sozialen Phänomen Sport um mehr geht als bloß um bewegte Muskelmasse.
andrei s. markovits/lars rensmann: querpass. sport und politik in europa und den usa. Göttingen:
Die Werkstatt, 2007, 239 Seiten, 18,90 €.