von Hannes Stein
Nichts gegen Madonna! Schließlich sieht die Frau einfach umwerfend aus – dass sie gerade eben ein halbes Jahrhundert alt geworden ist, möchte man nicht für möglich halten. Die Fachleute behaupten außerdem, Madame habe das Genre des Pop entscheidend vorangebracht. Aber sie hat sich nicht nur als Sängerin, sondern als Filmschauspielerin einen Namen gemacht – unvergessen, wie sie als Eva Peron »Don’t Cry For Me,
Argentina« schmetterte. Also kurz und gut: ein Allroundtalent – dazu ist sie noch Mutter dreier Kinder (eines davon adoptiert) und Hausfrau.
Nur eines wird man über Madonna beim besten Willen nicht behaupten können: dass sie Jüdin sei. Auf ihrer Homepage sehen wir ein katholisches Kreuz genau dort, wo unser Blick als erstes hinfällt. Auch ihr englischer Ehemann Guy Ritchie ist ungefähr so koscher wie Pork- and
Kidney-Pie. Macht ja nichts, schließlich handelt es sich bei einigen unserer liebsten Promi-Paare um Nichtjuden: Romeo und Julia, Tristan und Isolde, Laurel und Hardy. Nicht jedoch Ferdinand und Isabella. Womit wir sozusagen gleich beim nächsten Thema wären.
Nichts gegen Kabbala! Man muss es ja wirklich nicht so weit treiben wie Jeschajahu Leibowitz sel. A., der als Neomaimonidianer – das heißt: strenggläubiger Rationalist – die jüdische Geheimlehre in Bausch und Bogen als »heidnischen Unfug« verdammte. Nein. Schließlich gehört es zur Ehre eines ordentlichen Monotheismus dazu, dass er seinen eigenen Widerspruch in Form der Gnosis dialektisch aus sich selbst hervortreibt. Warum sollte ausgerechnet der Ur-Monotheismus, und das ist nun einmal das Judentum, da eine Ausnahme sein? Jeder, der schon einmal einen New-Age-Buchladen besucht hat, weiß, dass das Hauptwerk der Kabbala »Sohar« heißt.
Es wird Schimon Bar Jochai zugeschrieben, einem Rabbiner, der um die Zeit der Zerstörung des Zweiten Tempels in Israel lebte und zu den Autoren des Talmud gehörte. Eigentlich, so geht ein orthodoxes Gerücht, seien die kabbalistischen Geheimlehren schon Abraham, Isaak und Jakob sowie Moses am Berg Sinai offenbart worden. Tatsächlich entstand der »Sohar« – dieses hebräische Wort bedeutet »Glanz« – im 13. Jahrhundert in Spanien, und sein wichtigster Autor hieß Moses de Leon. Ihre heutige Gestalt erhielt die Kabbala vor allem durch jene kosmologischen Spekulationen, die sich an den Namen Isaac Lurias knüpfen, eines Mystikers, der im israelischen Safed lebte.
Gemäß der lurianischen Kabbala, war die Schöpfung der Welt durch den »Zimzum« gekennzeichnet, eine »Zusammenziehung« Gottes, die zu einer Lichtexplosion und einem gewaltsamen Zerbrechen von sechs Schalen (»sefirot«) führte, aus denen die Welt gemacht ist. Die Aufgabe der Menschen besteht seither darin, die damals verstreuten göttlichen Lichtfunken aufzusammeln. Der deutsch-jüdische Gelehrte Gershom Scholem sah in der lurianischen Kabbala einen Versuch, eines der größten jüdischen Traumen seit der Zerstörung des Tempels zu verarbeiten: die Vertreibung aus Spanien im Jahre 1492. Das katastrophale Zerbrechen der Schalen hatten die Juden am eigenen Leib erlebt, als die Christen sie zur Auswanderung zwangen.
Madonna, für sich genommen – gut und sexy. Und Kabbala, exklusiv und allein betrachtet: ein Thema für manch interessanten Diavortragsabend. Aber beides kombiniert muss nervtötend wirken. Es fing damit an, dass Madonna ein geflochtenes rotes Band um den Arm trug, das dazu dienen sollte, böse Blicke abzuwehren. Aber damit hörte es noch lange nicht auf. Wenn man Christopher Ciccone glauben darf, Madonnas Bruder, dann weigerte sie sich, ihm Schulden zurückzuzahlen – erst einmal, sagte sie, müsse er an einem Kabbala-Kurs teilnehmen. Dort versammelt fand er »ihren Immobilienmakler, ihre Masseuse, ihre Kostümdesignerin, ihren Choreografen, zwei Assistenten, ihren Akupunkteur und ihre zwei Tänzerinnen«. Und natürlich ihren Göttergatten. Jeder, der irgendwie mit Madonnas Leben zu tun hat, wird dazu verdonnert, stundenlang Stuss über sich ergehen zu lassen. Am Freitagabend besuchen Madonna und Guy Ritchie das »Kabbalah Center« in Los Angeles. Dabei dürfen die beiden zur Rechten und zur Linken von Philip und Karen Berg sitzen, die das Zentrum gegründet haben.
»Madonna und Guy werden behandelt«, so Christopher Ciccione, »als seien sie der ungekrönte König und die ungekrönte Königin der Kabbala.« Guy Ritchie, der in weiße Roben gehüllt ist, wird jedesmal mit der Ehre ausgezeichnet, die Torarolle zur Bima zu tragen – Wellen des Neides schwappen durch die gesamte Gemeinde. »Laut unserer Schwester Melanie, die immer noch regelmäßig in Kontakt mit Madonna und Guy ist, kommen die beiden oft zum Abendessen vorbei, aber sie reden dann ausschließlich über Kabbala«, schreibt Ciccone. »Sobald das Gespräch sich einem anderen Thema zuwendt, verlieren sie ihr Interesse. Was Madonna betrifft, denke ich, dass die Kabbala ihrer nebulösen Welt eine Form und ihr eine Bestimmung gegeben hat. (...) Sie glaubt jetzt, dass sie Gott auf ihrer Seite hat. Mit diesem Glauben gerüstet, scheint sie die Kabbala oft wie eine Waffe zu verwenden.«
Bleibt allerdings die Frage: welche Kabbala? Jenes stromlinienförmige theologische Produkt, das Philip Berg für den globalen Markt schuf, hat mit der luriani-
schen Kabbala allenfalls den Namen gemein. Bei ihm geht es nicht mehr um eine pessimistische Kosmologie, um die Frage, wie Gott das Böse auf der Welt zulassen kann, um das Einsammeln von göttlichen Funken. Statt dessen faselt er von Astrologie, Telepathie, Wahrsagerei und Außerirdischen. Das Genie von Philip Berg – wenn man es denn Genie nennen will – besteht im Wesentlichen darin, dass er die jüdische Geheimlehre zu einer Variante des New-Age-Glaubens plattgewalzt hat. Durch diesen kleinen Kunstgriff wird sie dann für alle, Juden wie Nichtjuden, ungeheuer anziehend.
Bei den meisten Gurus und New-Age-Propheten handelt es sich um eher obskure Gestalten, Philip Berg ist da keine Ausnahme. Eigentlich heißt er Feivel Gruber-
ger und stammt aus einer orthodoxen Familie in Brooklyn. Er habe, so behauptet er, an der Jeschiwa Kol Jehuda in Jerusalem seine Smicha erhalten. An der Jeschiwa Kol Jehuda will man davon indes nichts wissen. Philip Berg nennt an-
geblich einen Doktortitel sein eigen – allerdings ist nicht ganz klar, in welcher Disziplin: Hat er vergleichende Religionsgeschichte oder Jurisprudenz studiert? Vor-
weisen möchte Philip Berg seine Doktor-urkunde jedenfalls lieber nicht. Micha Odenheimer, ein Journalist der israelischen Tageszeitung Haaretz, zitiert außerdem Äußerungen von Berg, die vertrackt nah am Antisemitismus liegen: Der »So-
har«, erklärt der selbsternannte Kabbalist in christlichem Jargon, sei der »heilige Gral«. (Tatsächlich handelt es sich beim heiligen Gral um den Becher, aus dem Je-
sus beim letzten Abendmahl getrunken haben soll.) Da die Juden den »heiligen Gral« unterdrückt und verleugnet hätten, sei der Judenhass entstanden. »Der hauptsächliche Faktor, der zum Antisemitismus beiträgt, liegt (…) bei der Verleugnung der Früchte des Heiligen Grals seitens der Juden.« Das ist nun allerdings geradezu ein Topos des Antisemitismus: Die Juden hätten sich für irgendeine endgültige Welterlösungslehre (Jesus, den Marxismus, den Koran) verschlossen und hielten verstockt an ihrer Eigenheit als auserwähltes Volk fest. Da sei es doch nur natürlich, dass sie gehasst würden!
In den letzten Jahren hat sich Philip Berg aus Gesundheitsgründen vom aktiven Kabbalageschäft zurückgzogen, sein Sohn Yehuda hat die Firma übernommen. Er betreibt einen eigenen Blog – ihn lesen heißt, sich dem Abenteuer geballter spiritueller Banalität auszusetzen: »Wenn du Kabbala studierst, hat du mehr Weisheit – und enthüllst mehr Licht, als dir klar ist, und die Chancen sind groß, dass du Leute anziehst, die Zuspruch brauchen. Woher weißt du, ob du teilst oder nur ausgenutzt wirst?« Jedenfalls ist es nie klug, Jüngern der Kabbala seine Scheckkarte zu überreichen. Das freilich steht nicht auf dem Blog von Yehuda Berg. Aber vielleicht schreibt Madonna demnächst einen Song darüber?