von Jessica jacoby
Beim Filmfestival von Cannes im Frühjahr erregte er viel Aufmerksamkeit und ging bei der Preisverteilung doch leer aus, zur Enttäuschung vieler Kritiker. Diese Woche kommt er in die deutschen Kinos: Waltz with Bashir des israelischen Regisseurs Ari Folman.
Folman ist in der internationalen Filmwelt kein Unbekannter. Seine zwei Spielfilme Saint Clara (1996) und Made in Israel (2001) stießen überwiegend auf ein positives Echo. Ursprünglich kommt der 46-Jährige vom Fernsehen. Zusammen mit Uri Sivan drehte er mehrere prämierte Dokumentationen über den Nahostkonflikt. In Waltz with Bashir vereint Folman nun zwei Genres, die erst mal gar nicht zueinander passen wollen: Den Dokumentarfilm mit der animierten Spielhandlung. Es geht um das Erleben israelischer Soldaten während des Libanonkriegs 1982, um Ver-drängung, um die Gleichzeitigkeit von Täter- und Opferrolle, um Entwirklichung und das Wiedergewinnen der traumatischen Vergangenheit mittels Gesprächen und Traumdeutung – klassische Verfahren der Psychoanalyse, als deren Anhänger sich Folman bekennt.
Der Film beginnt mit einem Albtraum, in dem die Geister erschossener libanesischer Dorfhunde Folmans Freund Boas verfolgen. Als der ihm von dem Traum erzählt, wird dem Filmemacher bewusst, dass er selbst keine Erinnerung an seinen Libanoneinsatz als junger Soldat hat. Also befragt er Freunde und ehemalige Kameraden, die in seiner Einheit gedient haben. Aus vielen Einzelgeschichten destilliert Folman nach und nach die verdrängten Fakten heraus, bis hin zu seiner eigenen Funktion als »Beleuchter« beim Massaker in den Palästinenserlagern Sabra und Schatila, wo christliche Milizen unter dem Schutz der israelischen Armee 3.000 Frauen, Kinder und Greise abschlachteten. Auslöser war die Ermordung des libanesischen Präsidenten und Israel-Verbündeten Bashir Gemayel einen Tag zuvor, worauf der Filmtitel Waltz with Bashir anspielt
Folman wollte keinen klassischen Dokumentarfilm drehen. Ihm erschien das zu uninteressant. Nun sind Langweiligkeit oder Redundanz weniger Fragen des Genres als des Themas und seiner Bearbeitung. Inhaltlich bietet Waltz with Bashir in dieser Hinsicht nichts wirklich Neues. Über die Morde von Sabra und Schatila gibt es den mit minimalistischen Mitteln Maßstäbe setzenden deutsch-libanesischen Dokumentarfilm Massaker von Monika Borgmann und Lokman Slim. Die Befindlichkeiten junger israelischer Soldaten und ihr Ausgeliefertsein in einer Kriegssituation – einschließlich der physischen und psychischen Folgen – haben Joseph Cedars Spielfilm Beaufort und Dany Winderbaum Dokumentation Flipping Out thematisiert, um zwei neuere von vielen Beispielen zu nennen.
Was Waltz with Bashir auszeichnet, ist in der Tat die Form. Die aufwendigen, nach Realvideo gezeichneten Bilder sind einzigartig geeignet, Träume und Fantasien sichtbar zu machen. Die surreale Qualität der Bilder fasziniert, die Visionen entfalten eine Sogwirkung, der man sich schwer entziehen kann, auch wenn manche allzu deutlich Männerfantasien sind, wie die riesige, nackte Frau, die dem Meer entsteigt, eine Mischung aus Barbie- und Beate-Uhse-Puppe, die den verängstigten und seekranken Helden rettet.
Dass Folman den animierten Bildern dann doch nicht ganz traut, zeigt sich am Schluss, als die weinenden Überlebenden und die Leichen von Sabra und Schatila in Realfilm gezeigt werden, als ultimativer Einbruch der grauenhaften Wirklichkeit: Auf gewisse Weise der Höhepunkt dieses Films, dessen Bilder, ob animiert oder real, den Zuschauer noch lange verfolgen. Unbedingt ansehen!