Es ist eine kleine Gruppe von Altbekannten, die da jeden Wochentag kurz nach acht Uhr morgens auf die Klingel neben dem Eisentor drückt. Der Portier kommt aus seinem Häuschen, öffnet die Tür, man begrüßt sich, und die Männer treten ein in den mächtigen Kuppelbau im Zentrum Sofias.
Zehn bis 15 ältere Männer sind es, die jeden Tag das Morgengebet in der Synagoge besuchen. Doch zu groß ist der prächtige Gebetssaal für die kleine Gruppe, zu kalt der reich dekorierte Raum im Winter. Deshalb biegen die Männer vor dem Hauptsaal nach rechts: in einen kleinen, einfach eingerichteten Gebetsraum.
Dieser Tage setzen sie dieses tägliche Ritual für ein paar Tage aus. Denn die Sofioter Synagoge begeht ihr 100-jähriges Bestehen. Sie ist die größte Synagoge der Balkanhalbinsel und die drittgrößte in Europa. In der Festwoche vom 6. bis 11. September wird sie nicht nur zum feierlichen Schabbatgottesdienst von Rabbiner Behor Kahlon gefüllt sein, sondern jeden Tag. Das ist selten in Sofia, denn die Gemeinde ist klein. 3.500 Juden leben in der bulgarischen Hauptstadt, die wenigsten sind religiös. Daher ist die Synagoge nur zu den Hohen Feiertagen geöffnet. Und auch dann sitzen vor allem ältere Herren in den ersten Reihen.
»Aber an den Feiertagen ist es hier voll«, sagt Hari Levi. Er sitzt als Buchhalter im kleinen Büro gleich hinter dem Eingangsportal und führt Besucher durch die Synagoge. Jetzt, ein paar Tage vor der Festwoche, kann Levi stolz sein. Und aufatmen. Bis vor Kurzem hat man hier gezittert und gehofft, dass die Restaurierung rechtzeitig fertig würde. Es hat geklappt: Das Gerüst im Inneren des Hauptraums wurde abgebaut. Noch vor ein paar Monaten spazierten hier Handwerker auf und ab, restaurierten Ornamente und die Empore für die Frauen.
Levi nennt die Sanierung der Synagoge »einen ununterbrochenen Prozess seit 1989«. Ununterbrochen? Nun ja. Immer wieder unterbrochen wäre vielleicht treffender. Nach dem Ende des Sozialismus befand sich das Gebäude in einem bedauernswerten Zustand. Die Restaurierung erwies sich als schwierige Aufgabe für die kleine und finanzschwache Gemeinde. Zuerst machte man sich am Dach zu schaffen, dann am Äußeren. Heute strahlt die Synagoge in weißem Marmor mit Ziegeleinsätzen. Zuletzt wurde das Innere auf Vordermann gebracht. Ein Teil des Geldes kam vom bulgarischen Kulturministerium, 100.000 Dollar steuerten zuletzt Rothschild-Foundation, der World Monument Fund und die Familie Guggenheim bei.
Nun ist es ein imposanter Anblick: Ein hoher achteckiger Saal, Holzbänke mit über 1.000 Sitzen, bunte florale Ornamente, Marmorstelen und ein fast 20 Meter großer Metalllüster. Ein überbordendes Gesamtkunstwerk. Experten bezeichnen den Stil der Synagoge als spanisch-maurisch mit byzantinischen Elementen. Erbaut wurde sie von dem Wiener Architekten Leopold Grünanger. Zur Einweihung am 9. September 1909 kamen sogar der bulgarische Zar Ferdinand und seine Gemahlin Eleonore.
Vor der Synagoge scheppert eine Straßenbahn vorbei, müht sich blechern-krächzend an der engen Straße vorbei. Passanten eilen über die buckligen Gehwege. Hier ist das Marktviertel, Läden mit Stoffen und Schuhen, ein paar Straßenecken dahinter der größte Markt der Innenstadt, der sogenannte Frauenmarkt, wo Marktschreier, Händler und alte Weiblein Gemüse, Obst und Waren des täglichen Gebrauchs feilbieten.
Mitte Oktober, nach der Festwoche und den Hohen Feiertagen, wird wieder Ruhe im Haus einkehren. Und die alten Männer werden jeden Tag für ihr allmorgendliches Gebet wieder kurz vor dem Saal abbiegen, in die kleine Betstube. Jutta Sommerbauer
bulgarien