von Sabine Brandes
Das Manhattan-Syndrom geht um. Nicht auf der Fifth Avenue oder dem Broadway, sondern auf der Gordon-, Ben-Yehuda- und der Hayarkon-Straße. Seit jeher sind Mieten in Israels Mittelmeermetropole Tel Aviv besonders hoch, Jerusalem folgt auf dem Fuß. In letzter Zeit jedoch »schießen sie in den Himmel«, wie Branchenexperten beschreiben. Die Nachfrage ist riesig, das Angebot stagniert seit Langem.
Die Preise für Wohnungen in Tel Avivs Zentrum gehören zu den höchsten im ganzen Nahen Osten, zeigt die neue Studie des »Global Property Guide« auf. Der durchschnittliche Preis pro Quadratmeter liegt bei 5.000 US-Dollar. Auf Platz zwei rangiert Dubai mit etwa 4.000 Dollar, in Tunis kostet Wohnraum 2.500 Dollar, Kairo ist mit 400 Dollar Schlusslicht. Ist der Kaufpreis hoch, sind es auch die Mieten: Noch vor ein oder zwei Jahren waren Wohnungen mit zwei Zimmern für 750 Dollar, umgerechnet etwas mehr als 500 Euro, zu haben. Heute ist nichts mehr unter 1.000 Dollar drin. »Die Mieten, vor allem im Zentrum von Tel Aviv, sind tatsächlich explodiert«, bestätigt Gadi Avissar von Israels größtem Maklerunternehmen Remax. In besonders guten Wohngegenden gibt es Steigerungen von bis zu 50 Prozent.
Jeffrey Stock kann ein Lied davon singen. Nach seinem Umzug von Washington nach Tel Aviv lebte der Amerikaner drei Monate lang bei Freunden, in Hotels und Pensionen, bis er sich schließlich für eine Wohngemeinschaft entschied. »Die Suche nach einem Apartment war ein Albtraum – und das ist noch eine Untertreibung«, sagt er. Stock hat sich in dieser Zeit um die 20 Angebote angeschaut, »und eins war schlimmer, als das andere.« Der 35-jährige Selbstständige hatte zunächst an eine Zwei- bis Dreizimmerwohnung für 700 bis 900 Dollar gedacht. Von diesem Wunsch musste er jedoch Abschied nehmen. »Ich bin noch nicht einmal in die Nähe gekommen, tatsächlich etwas Akzeptables zu mieten«, berichtet er frustriert. Wenn der Preis stimmte, seien es im Allgemeinen »widerliche Löcher« gewesen, war die Wohnung okay, war die Miete unbezahlbar.
»Zum Teil wollten die Vermieter Kautionen von 10.000 Dollar, Empfehlungsschreiben vom Arbeitgeber oder sogar die Miete für das ganze Jahr im Voraus – in bar«, er-
zählt Stock. Andere Suchende berichten von regelrechten Auktionen: Wer das meiste bietet, bekommt den Zuschlag. Bei Besichtigungsterminen für bezahlbare Un-
terkünfte treffen sich nicht selten bis zu 30 Interessenten, manche lagern schon Stunden vorher vor der Tür, um als Erster in der Schlange zu stehen. »Durch den begrenzten Wohnraum in Tel Aviv war es schon immer schwierig«, so Makler Avissar, »doch in letzter Zeit ist der Markt wirklich gänzlich verrückt geworden«.
Gründe für die rasanten Steigerungen gibt es einige. Schon immer war die Nachfrage in Jerusalem und Tel Aviv größer als der vorhandene Mietraum. Das Angebot an Wohnungen im unteren bis mittleren Preisbereich stagniert seit zwei Jahrzehnten. Jüngst werden hauptsächlich luxuriöse Komplexe gebaut, die nicht vermietet, sondern sofort verkauft werden. Auch ausländische Juden, die Eigentum im Heiligen Land erwerben, tragen zum Engpass bei. Zudem, so Avissar, sorge die stabile Wirtschaft dafür, dass immer mehr junge Menschen von zu Hause ausziehen und sich ihre eigenen vier Wände suchen. Auch der Rückgang an Anschlägen, also die relative Sicherheit, lässt viele in die Zentren strömen. Obwohl die Regierung Land zu güns-tigen Konditionen anbietet, wenn sich die Käufer verpflichten, Wohnraum zu bauen und diesen für einen festgelegten Zeitraum zu vermieten, wird sich die Lage in der nächsten Zeit wohl kaum entspannen. Dieser Meinung ist auch Avissar.
Tel Aviv ist die Stadt der Singles. Mehr und mehr kleine Behausungen werden be-
nötigt. Viele Eigentümer teilen dafür ihre Drei- oder Vierzimmer-Wohnungen in mehrere winzige und streichen riesige Profite ein. Die neuen Unterkünfte sind zum Teil kaum mehr als Abstellkammern, die dann als sogenannte »Komfortapartments« angeboten werden. Von Annehmlichkeit kann man kaum sprechen, wenn Wohn-, Schlafzimmer, Küche und Nasszelle auf einer Gesamtfläche von 15 Quadratmetern untergebracht sind und sämtliche Wände aus Rigips-Platten bestehen. Preis in zentraler Lage: 650 Dollar, rund 450 Euro.
Zahllose Blogs im Internet beschreiben Ausnahmezustände bei der Suche nach einem Quartier und teils katastrophale Zustände in Mietshäusern. Einige Verzweifelte haben sich in der Initiative »RentControl.co.il« zusammengetan, um Tel Avivs Bürgermeister Ron Huldai dazu zu bringen, etwas gegen die unhaltbaren Zustände zu unternehmen und günstigen Wohnraum für junge Leute mit wenig Geld, wie Studenten, junge Künstler oder Alleinerziehende, bereitzustellen, die zu einem positiven, bunten Stadtbild beitragen.
Trotz des sinkenden Dollarkurses werden viele Mietverträge nach wie vor in US-Dollar abgeschlossen, obwohl Makler wie Banken mittlerweile dazu raten, die Miete in Schekel anzusetzen, um Kursschwankungen zu umgehen. Die meisten Verträge sind lediglich ein Jahr gültig, müssen dann zwischen beiden Parteien neu ausgehandelt werden. Eine Grenze, wie hoch die Mieterhöhung im neuen Jahr sein darf, gibt es nicht. Eine schmerzhafte Erfahrung, die die Hadars machen mussten. Yuval und Einat Hadar, gerade frisch verheiratet, leben seit etwas über einem Jahr in ihrem ersten gemeinsamen Heim. Sie waren froh, eine schöne Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung in einem netten Viertel der Mittelmeerstadt für 750 Dollar gefunden zu haben. Doch im vergangenen Dezember lief der Vertrag aus. Yuval und Einat dachten an nichts Böses und riefen ihren Vermieter rechtzeitig an, um ihm mitzuteilen, dass sie gern verlängern würden.
»Doch der lachte nur«, erinnert sich Yu-
val, »und sagte, dass die Bedingungen sich geändert hätten und er nun 1.000 Dollar will. Wir waren völlig schockiert. Wenn er die Miete an den gefallenen Dollar anpassen will, okay. Aber auf einmal 250 Dollar mehr im Monat? Das ist doch irre.« Nachdem es sich auf dem Markt umgesehen und Renovierungs- wie Umzugskosten ausgerechnet hatte, entschied sich das junge Ehepaar dafür, in der Wohnung zu bleiben. »Doch wir freuen uns nicht mehr wirklich an unserem schönen Zuhause, sagt Einat, »sondern fühlen uns richtig ausgenutzt.«