von Clemens Hoffmann
Bagger schieben Erde hin und her, Betonmischer gießen Fundamente. Bauarbeiter schreien sich Kommandos zu. Von seinem Büro in der Synagoge »Goldene Rose« schaut Schmuel Kaminjetski auf eine Großbaustelle. Die Aussicht auf zweieinhalb Jahre Lärm und Dreck schreckt den Rabbiner der jüdischen Gemeinde im ukrainischen Dnjepropetrowsk nicht. An der Schalom-Aleichem-Straße entsteht das größte jüdische Gemeindezentrum Osteuropas. »Das wird mehr als ein Haus für die Juden dieser Stadt. Wir schaffen einen Anziehungspunkt für Juden in der Ukraine und der ehemaligen Sowjetunion. Und vielleicht sogar in der ganzen Welt«, begeistert sich der Rabbiner, der schon 1990 für die chassidische Chabad-Bewegung an den Dnjepr kam und als deren mächtigster Repräsentant in der Ukraine gilt.
Der einzigartige Neubau-Komplex mit insgesamt 36.000 Quadratmeter umbauter Fläche besteht aus sieben Hochhaustürmen, die an die siebenarmige Menora erinnern. Sie werden die 150 Jahre alte, klassizistische Synagoge einrahmen und himmel- hoch überragen. Später sollen die unterschiedlich hohen Türme – wie die Kerzen des Leuchters – im Laufe der Wochentage nach und nach angestrahlt werden.
Der spektakuläre Bau dürfte das neue Wahrzeichen der Millionenstadt werden, in der zu Sowjetzeiten Raketen produziert wurden. Wie Manhattan am Dnjepr wirken die trutzigen Türme auf den Entwürfen. In das 20-stöckige Hauptgebäude sollen auf drei- bis fünftausend Quadratmetern ein Museum für jüdische Geschichte, eine Forschungsstelle und ein Holocaust-Memorial einziehen. Dafür sammeln Wissenschaftler des ukrainischen Holocaustgeschichtszentrums »Tkuma« derzeit die Namen aller 11.000 von den Nationalsozialisten im Oktober 1943 in Dnepropetrowsk ermordeten Juden. 5.000 Namen haben die Forscher bereits zusammengetragen. »Die Suche gestaltet sich mühsam. 65 Jahre nach der Schoa sind viele Quellen verloren«, bedauert Amir Ben Zvi, Direktor des amerikanischen JOINT-Hilfswerks in der Ostukraine, der das Museumskonzept mitentwickelt.
In den anderen Türmen wird es Platz geben für Konferenzen und Seminare, für die Gemeindearbeit sowie medizinische und soziale Einrichtungen. Auch ein 1.000 Quadratmeter großes, koscheres Veranstaltungszentrum für Hochzeiten, Barmizwas, Geburtstage und andere Familienfeiern ist geplant. Außerdem ein Restaurant, ein Hotel für jüdische Tagungsgäste, eine Buchhandlung. Die Gemeinde hofft auch auf Mieter wie die Jewish Agency oder das israelische Konsulat. Kommerzielle Büroflächen wolle man aber nicht schaffen, beteuert Rabbiner Kaminjetski.
Die Gemeinde steuerte das Grundstück bei und fungiert als Bauherr. Schätzungsweise 70 Millionen Dollar kostet das Menora-Zentrum. Finanziert wird es privat – von den beiden ukrainischen Milliardären Gennadi Bogolubow und Igor Kolomoisky. Die Oligarchen sind Mitglieder der örtlichen Gemeinde. Zusammen gründeten sie Anfang der 90er-Jahre eine Holding, einen heute nur noch schwer überschaubaren Mischkonzern aus Banken, Industrie- und Medienunternehmen. Bogolubow amtiert bereits seit zehn Jahren als Präsident der jüdischen Gemeinde Dnepropetrowsk. Kolomoisky wurde erst Anfang Oktober in Kiew zum neuen Vorsitzenden der Vereinten jüdischen Gemeinden der Ukraine gewählt, einer der acht jüdischen Dachorganisationen der ehemaligen Sowjetrepublik.
»Alles, was die beiden anpacken, machen sie in großem Stil«, sagt Rabbi Kaminjetski zufrieden. Der 43-Jährige macht keinen Hehl aus seiner Bewunderung für die beiden Gönner. »Sie sind erfolgreiche Geschäftsleute und wollen etwas zurückgeben.« Sie hätten der Gemeinde bereits zahlreiche Bauprojekte ermöglicht.
Wer glaubt, dass die Finanzkrise dem Rabbiner Sorgen bereitet, der irrt. »Auch wenn anderswo in der Ukraine die Baukräne stillstehen, hier wird weitergebaut«, sagt er, »dafür garantieren unsere Mäzene. Wir wollen in zweieinhalb Jahren fertig sein, vielleicht sogar schon früher.«
Bis zur Schoa war Dnepropetrowsk, das frühere Jekaterinoslaw, ein Zentrum jüdischen Lebens in Osteuropa. Zeitweise waren mehr als ein Drittel der Einwohner Juden. Für die weltweite Chabad-Bewegung hat die Stadt besondere Bedeutung: Der Lubawitscher Rebbe Menachem Mendel Schneerson (1902-1994) verbrachte hier Anfang des 20. Jahrhunderts seine Kindheit und Jugend.
»30.000 bis 50.000 Juden leben heute wieder in der Stadt«, sagt Chabad-Emissär Kaminetski. Nur in der Hauptstadt Kiew seien es mehr. Die Stärke seiner Gemeinde sei ihre Geschlossenheit, betont der Rabbiner. Man lasse sich nicht durch Streitereien auseinanderbringen, habe eine effektive Gemeindevertretung und eine große Zahl von Sponsoren in der örtlichen Geschäftswelt. Mit dem nicht nur für die Ukraine üppigen Jahresbudget von sieben Millionen Dollar unterhält die Gemeinde Kindergärten, Ganztagsschulen, Altenklubs und Schu- lungszentren. Der Neubau schaffe endlich Platz für weiteres Wachstum. »Das Menora-Zentrum bedeutet Zukunft. Für unsere Gemeinde und für das Judentum in der Ukraine«, sagt Kaminetski. Die Größe des Ge- bäudes bedeute dabei auch eine große Verantwortung. »Wir müssen es mit Leben füllen. Dann kann es gar nicht zu massiv sein.«