Herr Zwanziger, Sie erhalten den Leo-Baeck-Preis des Zentralrats der Juden in Deutschland. Was bedeutet Ihnen diese Ehrung?
Als ich die Liste der bisherigen Preisträger gelesen habe, war ich ja förmlich erschlagen: Angela Merkel, Joschka Fischer, Johannes Rau, Helmut Kohl, Richard von Weizsäcker ... Da bekam ich sehr zwiespältige Gefühle: Womit habe ich das nur verdient? Aber ein bisschen Stolz ist schon dabei. Als ich dann Charlotte Knobloch, die Präsidentin des Zentralrats, angerufen und sie um ihre Meinung zu dieser geplanten Ehrung gebeten habe, hat sie mir gesagt, was der Zentralrat sich dabei gedacht hat. Der Vorschlag kam wohl von Dieter Graumann, dem Vizepräsidenten. Wir hatten schon vor Jahren viel miteinander zu tun, als es vor allem im hessischen Bereich Ausschreitungen und Pöbeleien gab, wenn Fußballteams von Makkabi spielten. Dagegen musste etwas unternommen werden, und ich habe damals viel gelernt, denn mit solchen Themen muss man sensibel umgehen.
Allzu viele Preise und Ehrungen sind in Ihrer Vita nicht zu entdecken.
Wer mich kennt, weiß genau, dass ich Ehrungen mit einer gewissen Distanz gegenüberstehe. Ich war Zeit meines Lebens sehr engagiert im Ehrenamt: im Roten Kreuz und vor allem im Sport. Das ist für mich so selbstverständlich, dass ich dafür nicht extra geehrt werden möchte. Erst 2005 habe ich das Bundesverdienstkreuz bekommen. Das habe ich dann nach längerer Überlegung angenommen, weil ich ja gewählter Präsident war. Das wollte ich werden, weil ich etwas bewirken möchte: Wichtig ist für mich beispielsweise das Engagement des Fußballs für Integration und gegen Diskriminierung.
Ein Fußballfunktionär mit diesem Preis – hätten Sie sich das vor zehn oder 15 Jahren vorstellen können?
Nein, das wäre undenkbar gewesen. Aber wir haben alle in den vergangenen Jahren viel gelernt. Fußball ist Politik, Fußball ist Gesellschaft, und der Fußball darf sich nicht einfach mit der Behauptung, er habe nichts mit Politik zu tun, aus der Verantwortung stehlen. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) muss sich etwa der Frage stellen, wie es kommen konnte, dass der Verband – nicht jedes Mitglied, aber doch die Mehrheit – zum Steigbügelhalter der Nazis wurde.
Gibt es auch eine Tradition des jüdischen Fußballs in Deutschland?
Wir haben ja den Julius-Hirsch-Preis, den wir jährlich vergeben. Damit erinnern wir an einen jüdischen Nationalspieler. Andere jüdische Traditionen des deutschen Fußballs und des DFB entdecken wir zum Teil erst langsam. Ein wichtiger Punkt ist der Sportaustausch mit Israel. Die jeweilige U-18-Auswahl des DFB soll künftig jedes Jahr nach Israel reisen, um dort zu spielen und auch Yad Vashem zu besuchen – beides ist uns sehr wichtig. Im vergangenen Jahr war ich erstmals dabei. Es war interessant, wie betroffen die jungen Spieler sind, wenn sie sich die Ausstellung dort ansehen.
Zu den jüdischen Wurzeln des deutschen Fußballs gehört auch, dass der FC Bayern München mit Kurt Landauer sehr lange einen jüdischen Präsidenten hatte. Warum war das nur so lange niemandem bewusst?
Es entsteht ja erst langsam das Bewusstsein dafür, dass die Vereine sich mit ihrer Vergangenheit beschäftigen. Vielleicht liegt es daran, dass bei vielen Vereinen mittlerweile das 100-jährige Jubiläum ansteht.
Vorher gab es 50- und 75-jährige Jubiläen, für die auch Festschriften verfasst wurden. Hätte man nicht mit der Aufarbeitung der Geschichte auch schon da anfangen können?
Da waren oft noch Leute an den Spitzen der Vereine, die sich dem Thema nicht stellen wollten. Ich sage das durchaus selbstkritisch: Ich kannte ja Julius Hirsch auch nicht. Der erste Julius-Hirsch-Preis ging 2005 übrigens an Bayern München, unter anderem, weil der Verein sich in der NS-Zeit gegenüber seinem langjährigen Präsidenten Kurt Landauer durchaus respektabel verhielt. Vielleicht gab es vorher auch viele in Deutschland, die Bayern München das gar nicht zugetraut hätten.
In diesem Jahr ging der Julius-Hirsch-Preis an die Initiative »Löwenfans gegen rechts«. Das freut mich, weil aufgrund der Geschichte dieser Münchner Rivalen vielleicht der eine oder andere das bei 1860 München nicht erwartet hätte.
Seit fünf Jahren sind Sie nun DFB-Präsident. Können Sie im Kampf gegen den Rechtsextremismus Erfolge vermelden?
Es wäre falsch, irgendwann zu sagen, wir hätten den Rechtsextremismus besiegt. Ihn zu bekämpfen ist eine Daueraufgabe. Rassismus und Antisemitismus sind das schleichende Gift in dieser Gesellschaft. Damit es nicht wirkt, muss die Gesellschaft stark sein und immer wieder neu gestärkt werden. Unter dem Dach des DFB werden jede Woche 80.000 Fußballspiele ausgetragen, wir haben 6,7 Millionen Mitglieder, organisiert in 26.000 Vereinen, und hier arbeitet eine Million ehrenamtlicher Mitarbeiter. Bei dieser riesigen Zahl muss man schon sagen: Was Diskriminierung betrifft, passiert zum Glück sehr wenig. Dass ab und zu doch etwas passiert, kann man nie ausschließen, und jeder Vorfall ist einer zu viel. Deshalb darf man sich nie beruhigt zurücklehnen.
Es wird immer wieder von Bemühungen der NPD und anderer rechtsextremer Parteien berichtet, in Sportvereine einzutreten oder selbst eigene zu gründen. Beobachten Sie das auch im Fußball?
Ja, das muss ich leider bestätigen. Und wissen Sie: Aus Sicht der Rechtsextremisten ist diese Strategie ja leider clever. Denn dort, wo das Ehrenamt ist, lebt ja die Gesellschaft – und da wirkt das Gift, das sie verabreichen wollen, am stärksten.
Wie reagiert der DFB darauf?
Vor allem mit Bildungsarbeit. Damit stellen wir unsere Werteordnung dar: dass Fußball für alle da ist, dass hier kein Platz für Diskriminierung sein darf.
Jahrzehntelang hieß es immer: Sport hat mit Politik nichts zu tun. Wie groß ist der Widerstand gegen Sie?
Manchmal erhalte ich noch Briefe, in denen steht: »Sie politisieren ja den Fußball!« Ich empfinde das meist als Ehre. Da hat vielleicht, denke ich dann, jemand begriffen, worum es mir geht, auch wenn er es anders bewertet. Im DFB hat sich das Bewusstsein dafür, dass man sich mit solchen politischen Fragen beschäftigen muss, rund um das 100. Verbandsjubiläum geändert – das war im Jahr 2000. Danach war vor allem die Aufarbeitung der Geschichte des DFB im Nationalsozialismus für uns sehr wichtig. Diese Verantwortung, glaube ich, ist mehrheitlich verstanden worden.
Ist die heutige Fußballergeneration vielleicht auch kritischer als beispielsweise die der »Helden von Bern«?
Die waren wohl eine Generation, die glaubte, das tun zu müssen, was man von ihnen erwartete: Ärmel hockrempeln, nach vorne schauen. Den Blick zurück, welche Fehler das waren, die zu Krieg und Holocaust geführt haben, haben sie damals nicht werfen wollen. Das ist ihnen zum Teil gar nicht vorzuwerfen.
Wie ist es heute?
Da herrscht mittlerweile Multikulti. Heute ist es selbstverständlich, dass man beispielsweise Respekt vor einem farbigen Spieler hat. In einem Team wird niemand beleidigt, und wenn das doch mal passiert, meldet sich sofort einer und sagt: »Stopp, sag’ das nicht noch mal!«