kiddusch

Mammes Stolz

Es ist ein moralisches Dilemma. Einerseits ist man angehalten, stets die Wahrheit zu sagen, andererseits könnte diese Wahrheit den »sozialen Frieden« gefährden. Also muss man einen Weg durch dieses Dilemma finden. So war es neulich beim Kiddusch, als eine Frau mich ansprach. Schon die Eröffnung »Wie geht es Ihnen?« mit gleichzeitiger Besetzung des Nachbarstuhls deutete darauf hin, dass sie eigentlich über sich selbst reden wollte. Ich war also geneigt zu sagen: »Gut!« – um mich dann schnell über das Essen herzumachen. Doch dummerweise sagte ich: »Vielen Dank, wie geht es Ihnen?« Gesellschaftliche Konventionen sehen das so vor.
»Erinnern Sie sich an meine Tochter?«, fragte mich die Frau. Ich wollte antworten: »Natürlich, auffälliger gekleidet als sie ging niemand aus dem Haus.« Doch ich antwortete pflichtbewusst: »Ja, sie war lange nicht mehr hier« – wobei ich sie, wenn ich es mir genau überlegte, noch nie in der Synagoge gesehen habe. Aber auch diese Zusatzinformation behielt ich für mich. »Wissen Sie, sie hat gerade die Universität beendet. Sie hat einen tollen Abschluss.« Woraufhin ich mich sagen hörte: »Darauf können Sie mächtig stolz sein. Alles Gute für Ihre Tochter!« Aber eigentlich meine ich, dass mich das überhaupt nicht interessiert, weil sowohl Mutter als auch Tochter sonst nie mit mir sprechen. »Ja und jetzt macht sie Karriere an der Universität.« Wieder setzte ich hinzu: »Das ist schön.« »Ja, sie hat in Deutschland geheiratet und zieht mit ihrem Mann in die USA.« Wieder nickte ich, zog die Augenbrauen hoch und sagte: »Wirklich?!«
Früher hatte ich mal einen Arbeitskollegen, von dem alle wussten, wenn er im Verlauf einer Unterhaltung »Wirklich?!« sagte, dann hatte er sich geistig aus der Konversation verabschiedet. Ähnlich war es jetzt auch bei mir. Ich sah dem Ende des Gesprächs entgegen. Das war natürlich unhöflich, aber mir nicht anzumerken. »Alles Gute!«, schob ich hinterher – ein perfekter Abschluss für ein Gespräch. Diese zwei Worte sind ein ungemein praktisches und international anerkanntes Gesprächsende.
Doch die Frau hatte noch weitere Informationen für mich in der Rückhand. »Ja, wissen Sie, meine Tochter hat in Amerika ihre Doktorarbeit geschrieben und eine Anstellung gefunden. Sie wird die jüngste Professorin der USA sein.« Ein perfekter Moment, um laut zu lachen und ihr zu antworten: »Bleiben Sie mal auf dem Teppich. Erst kürzlich habe ich gelesen, dass die 19-jährige Alia Sabur jüngste Professorin der USA geworden ist. Aus dem Alter müsste Ihre Tochter ja wohl lange raus sein.«
Stattdessen sagte ich erneut: »Wirklich?! Erstaunlich.« Die Frau fügte an: »Ja, auch mein Schwiegersohn hat einen guten Job gefunden. Auch er ist Akademiker und sehr erfolgreich. Die beiden sind sehr glücklich.« Bevor ich noch einmal »Wirklich?!« antworte, fällt mir etwas ein, was mich tatsächlich interessiert: »Sagen Sie, ich habe gehört, Ihre Tochter hat sich taufen lassen, um in Weiß und in einer Kirche zu heiraten. Stimmt das? Ich kann es mir gar nicht vorstellen.« Plötzlich sieht die Dame einen Bekannten und muss sich, wie sie sagt, »leider« von mir verabschieden. Schade, ich hätte den Bericht über die Taufe gern aus erster Hand gehört. Chajm Guski (Foto: imago)

Fernsehen

Mit KI besser ermitteln?

Künstliche Intelligenz tut in Sekundenschnelle, wofür wir Menschen Stunden und Tage brauchen. Auch Ermittlungsarbeit bei der Polizei kann die KI. Aber will man das?

von Christiane Bosch  21.04.2025

Reaktionen

Europäische Rabbiner: Papst Franziskus engagierte sich für Frieden in der Welt

Rabbiner Pinchas Goldschmidt, der Präsident der Konferenz Europäischer Rabbiner, würdigt das verstorbene Oberhaupt der katholischen Kirche

 21.04.2025

Berlin

Weitere Zeugenvernehmungen im Prozess gegen Angreifer auf Lahav Shapira

Der Prozess gegen Mustafa A. am Amtsgericht Tiergarten geht weiter. Noch ist unklar, ob am heutigen Donnerstag das Urteil bereits gefällt wird

 17.04.2025

Indischer Ozean

Malediven will Israelis die Einreise verbieten

Es ist nicht die erste Ankündigung dieser Art: Urlauber aus Israel sollen das Urlaubsparadies nicht mehr besuchen dürfen. Das muslimische Land will damit Solidarität mit den Palästinensern zeigen.

 16.04.2025

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 11.04.2025

Spenden

Mazze als Mizwa

Mitarbeiter vom Zentralratsprojekt »Mitzvah Day« übergaben Gesäuertes an die Berliner Tafel

von Katrin Richter  10.04.2025

Jerusalem

Oberstes Gericht berät über Entlassung des Schin-Bet-Chefs

Die Entlassung von Ronen Bar löste Massenproteste in Israel aus. Ministerpräsident Netanjahu sprach von einem »Mangel an Vertrauen«

 08.04.2025

Würdigung

Steinmeier gratuliert Ex-Botschafter Primor zum 90. Geburtstag

Er wurde vielfach ausgezeichnet und für seine Verdienste geehrt. Zu seinem 90. Geburtstag würdigt Bundespräsident Steinmeier Israels früheren Botschafter Avi Primor - und nennt ihn einen Vorreiter

von Birgit Wilke  07.04.2025

Weimar

Historiker Wagner sieht schwindendes Bewusstsein für NS-Verbrechen

Wagner betonte, wie wichtig es sei, sich im Alltag »gegen Antisemitismus, gegen Rassismus, gegen Muslimfeindlichkeit und gegen jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit« zu engagieren

 07.04.2025