Wer ihr folgt, gewinnt den Eindruck, sie sei ein Leben lang auf der Flucht gewesen. Nicht, weil die bis heute weitgehend unbekannte Malerin Ilse Heller-Lazard, die 1884 als Tochter eines jüdischen Bankiers und einer Deutsch-Amerikanerin geboren wurde, von den Nazis verfolgt wurde. Sondern weil ihr Leben geprägt war von biografischen Brüchen und Schicksalsschlägen. Der Selbstmord der Mutter, eine lebenslange Geschwisterrivalität sowie große Selbstzweifel und Depressionen waren der Grund für eine anhaltende innere Unruhe, die sie in viele Länder Europas führte – und ihre künstlerische Arbeit beeinflusste.
Erst vor Kurzem sind in einem privaten Nachlass rund 200 Gemälde der Expressionistin entdeckt worden, die noch nie öffentlich zu sehen waren. Die meist kleinformatigen Bilder aus Schweizer Familien- besitz bestechen durch intensive Farbigkeit und klare Formen. Eine Auswahl davon stellt jetzt das in einem verwinkelten Hinterhof in Berlin-Charlottenburg gelegene »Verborgene Museum« vor, das sich seit den 80er-Jahren der Dokumentation der Kunst vergessener Frauen widmet.
Auf engem Raum werden etwa 50 Gemälde, zahlreiche Fotos, Briefe und andere Dokumente gezeigt. So wird es möglich, ein Künstlerinnenleben zu rekonstruieren, das beispielhaft ist für die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert.
Ilse Lazard wächst mit ihrer Schwester Lou Albert-Lazard, die sich später als Malerin und Freundin von Rainer Maria Rilke einen Namen macht, in einem großbürgerlichen Elternhaus im lothringischen Metz auf. Schon früh will sie bildende Künstlerin werden. In einer Zeit, in der Frauen der Zugang zur Akademie verwehrt ist, nimmt sie Mal- und Zeichenunterricht an verschiedenen Privatschulen, unter anderem in München, Dresden und bei Lovis Corinth in Berlin.
Hier lernt sie auch den zehn Jahre jüngeren Schweizer Bildhauer Ernst Heller kennen, den sie 1918 heiratet. Ihre Ehe ist von Eifersucht und Konkurrenzdenken geprägt. Nach Stationen in der Schweiz und Italien richtet sich das Paar, dem Trend der Zeit folgend, 1927 ein Atelier in der französischen Hauptstadt ein. Sieben Jahre später stirbt die von ihrem Leben enttäuschte und von Krankheit gezeichnete Frau einsam im Amerikanischen Krankenhaus in Paris-Neuilly an den Folgen einer Krebsoperation.
Den gesellschaftlichen Umständen ihrer Generation ist es geschuldet, dass die tragische Biografie und das Werk Ilse Heller-Lezards erst jetzt der Öffentlichkeit im Rahmen einer Ausstellung vorgestellt werden. Die Künstlerin passte nicht in ihre Zeit. Mit aller Kraft stemmte sie sich gegen die Konventionen ihrer Herkunft. So wollten die Eltern vor allem, dass ihre Tochter aus gutem Hause standesgemäß heiratet. Sie aber versuchte, in der Malerei ihre Erfüllung zu finden. Die damit verbundene Unsicherheit und wirtschaftliche Not nahm sie in Kauf.
1911 notierte sie in ihrem Tagebuch: »Nur die Arbeit und harte, feste Arbeit mit Erfolg, äußerem und innerem, kann mich über meine schrecklichen Erinnerungen, über mein schlimmes, einsames Los in der Zukunft wegbringen. Und die will ich!« In ihrem Leben blieb dafür wenig Zeit. Bettina Piper
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