Luftballons, Ausreden und ein Tänzchen
Auf Stimmenfang:
Der Wahltag in Tel Aviv
von sabine brandes
Es war ein entspannter Vormittag. Wie sonst nur am Schabbat. Viele Israelis nutzten den arbeitsfreien Dienstag zum Ausschlafen, Einkaufen und Spazierengehen. Wer Platz in einem der Cafés von Tel Aviv oder Jerusalem haben wollte, hatte schon lange im voraus reserviert. Auf dem Weg zum Kaffeetrinken machten die Menschen Halt in den Wahllokalen, die von 8 bis 22 Uhr geöffnet waren. Doch es kamen weniger als erwartet. Die ungewöhnlich niedrige Wahlbeteiligung machte die Parteien schon am späten Nachmittag nervös.
In den letzten Stunden fuhren alle Gruppen noch einmal hektisch ihre ganze Kampagnen-Palette auf, um Unentschlossene und Desinteressierte auf ihre Seite zu ziehen. Die linke Meretz verteilte Luftballons an Familien, Likud-Helfer ließen niemanden ohne Aufkleber an sich vorüberziehen, und Schas-Anhänger fuhren unüberhörbar in verbeulten Kastenwagen mit plärrenden Lautsprechern auf Stimmenfang.
Vor dem Tel Aviver Rathaus auf dem Rabin-Platz hatten sich mehr als 80.000 Menschen versammelt, um den Ausgang der Wahlen auf dem überdimensionalen Bildschirm eines TV-Senders mitzuerleben. Alle warteten auf das Ergebnis des »Midgam«, der Parallelwahl fürs Fernsehen. Als es Punkt 22 Uhr in dicken Lettern auf der Rathauswand prangte, ging ein Raunen durch die Menge. Der Ausgang war überraschend, vor allem bei den Parteien, von denen keiner zuvor gesprochen hatte. »Peretz«-Rufe hallten durch die Menge, hier und da ein »Kadima Israel«. Einige ließen sich zu einem »Bibbi, Bibbi« hinreißen. Kadima ging als stärkste Partei hervor, wenn auch mit weniger Mandaten als erwartet. Einen herben Schlag gab es für Likud-Chef Benjamin Netanjahu. An dem Debakel gab er allen die Schuld: Ariel Scharon, der schwierigen Situation – nur nicht sich selbst. »Soll er doch zurück in die USA gehen, um Möbel zu verkaufen«, wetterte Kadima-Wähler Josef Nathan.
Tanzend und laut singend freuten sich die Anhänger der orthodoxen Schas-Partei über die Gewißheit, drittstärkste Partei zu sein. Bei den Senioren hatte die Mobilisierung in letzter Minute gewirkt. Die Partei der Pensionäre des einstigen Mossad-Mann Rafi Eitan kam von Null auf sieben Sitze. Als Ehud Olmert um ein Uhr nachts endlich über die Kadima-Bühne schritt, hatte sich der Rabin-Platz sichtlich geleert. Doch die »Kadima-Israel-Rufe« wurden noch einmal laut. »Eine Wende für Israel«, freute sich Avi Zach. Und der hatte für Meretz gestimmt.