Es geschieht an Stammtischen und im Internet, auf Partys und in Wohnzimmern: Fast täglich streiten Menschen die Schoa ab. In Deutschland machen sie sich damit strafbar, denn nach geltender Rechtslage ist der Massenmord an sechs Millionen Juden in der Nazi-Zeit historische Tatsache. Wer diese leugnet, verharmlost oder billigt, stört den öffentlichen Frieden. Nach Paragraf 130 (»Volksverhetzung«) des Strafgesetzbuches droht Tätern bis zu fünf Jahren Haft oder eine Geldstrafe. In Spanien hingegen bleibt die Leugnung des Holocaust seit November straffrei. Das Verfassungsgericht in Madrid hat entschieden, dass sie unter die Meinungsfreiheit fällt. Wir fragen: Wie sieht es in anderen Ländern Europas aus? Unsere Korrespondenten in Paris, London, Warschau, Prag, Rom und Zürich haben nachgefragt, wie dort die Justiz mit Schoaleugnern umgeht.
Spanien: Ganze zwölf Jahre war das Leugnen der Schoa in Spanien unter Strafe gestellt. Am 7. November vergangenen Jahres entschied das spanische Verfassungsgericht, das Abstreiten des millionenfachen Mordes an Juden während der Nazi-Zeit falle künftig unter die Meinungsfreiheit und sei damit nicht mehr strafbar. Der Neonazi Pedro Varela, der in seinem Buchladen in Barcelona rechtsradikale Publikationen und antisemitische Propaganda vertreibt, hatte gegen seine Verurteilung wegen Volksverhetzung und Verherrlichung des Völkermords Berufung beim Landgericht Barcelona eingelegt. Das hatte seinerseits das Verfassungsgericht eingeschaltet.
Die Rechtfertigung des Holocaust wird weiterhin mit bis zu zwei Jahren Haft bestraft. Pluralismus und Toleranz einer demokratischen Gesellschaft garantierten die freie Äußerung auch solcher Meinungen, die störend, ärgerlich oder beunruhigend seien, so die Urteilsbegründung vom 7. November. Das Gericht verweist auf das europäische Menschenrechtstribunal, das in ähnlichen Fällen die Suche nach der historischen Wahrheit als einen wichtigen Bestandteil der Meinungsfreiheit bezeichnet habe. Die bloße Leugnung eines Verbrechens wie Genozid sei gegenstandslos, so die spanischen Verfassungsrichter weiter, und beabsichtige nicht die Schaffung eines feindlichen sozialen Klimas gegen die ursprünglich verfolgte Bevölkerungsgruppe.
Vier der zwölf Verfassungsrichter gaben ein abweichendes schriftliches Urteil ab. Die Zunahme von Fällen rassistischer und antisemitischer Gewalt in Europa gebiete ein entschiedenes Vorgehen gegen die Nazi-Ideologie, erklärte Richter Roberto García-Calvo. In einem Urteil aus dem Jahr 1991 habe das Verfassungsgericht festgestellt, dass die Meinungsfreiheit nicht das Recht gebe zu fremdenfeindlichen oder rassistischen Äußerungen. Die spanische Verfassung stelle den Schutz der Menschenwürde über das Recht auf freie Meinungsäußerung, so auch Richter Jorge Rodríguez-Zapata. Mit dem Urteil verlasse Spanien den europäischen Konsens, Genozid-Leugnung, Volksverhetzung und Anstiftung zum Rassismus gleichermaßen unter Strafe zu stellen. Der Zentralverband der jüdischen Gemeinden in Spanien hat angekündigt, gegen das Verfassungsgerichtsurteil rechtliche Schritte einzulegen. Uwe Scheele
Polen: In Polen ist die Leugnung des Holocaust unter Strafe gestellt, wobei der Begriff Holocaust selbst nicht im Rechtskatalog verwendet wird. Seit 1998 sind im Rahmen der gesetzlichen Etablierung des Instituts des Nationalen Gedenkens/ Kommission zur Verfolgung von Verbrechen gegen das Polnische Volk, Artikel 1 und 55 rechtsverbindlich. Darin steht: Wer öffentlich und entgegen den Tatsachen nazistische, kommunistische oder andere Kriegsverbrechen sowie Verbrechen, die sich ge- gen den Frieden und die Menschheit richten, leugnet, wird mit Geldstrafe oder Freiheitsentzug von bis zu drei Jahren bestraft. Ein entsprechendes Urteil muss dabei öffentlich gemacht werden, das Gesetz bezieht sich ausdrücklich auf »Personen polnischer Nationalität oder polnische Staatsbürger anderer Nationalität«.
Wie Witold Kulesza, Strafrechtler an der Universität Lodz und zwischen 1998 und 2006 Direktor der Kommission zur Verfolgung von Verbrechen gegen das Polnische Volk beim IPN, auf Anfrage berichtet, gab es bis 1998 keine exakte Regelung. Jedoch habe ein Artikel über die Verherrlichung des Faschismus aus dem Strafgesetzbuch, das bereits seit kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges in Kraft war, entsprechende Leugnungsfälle theoretisch abgedeckt. Nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes hat es laut Kulesza erst einen Fall gegeben, bei dem ein Gericht ein Urteil gesprochen hat – ein Freispruch wegen zu geringer »sozialer Schädlichkeit«: Ein Holocaust-Leugner in Opole (Oppeln) hatte zwei Exemplare seines Buches verkaufen können. Weitere Fälle, die von der Staatsanwaltschaft verfolgt würden, seien von den Gerichten bislang stets eingestellt worden, da die Verlage leugnerischer Werke während der Ermittlungen verschwunden seien. Jan und Katarzyna Opielka
Schweiz: Der letzte gerichtsnotorische Fall von Schoa-Leugnung in der Schweiz liegt nur ein paar Wochen zurück: Der bekannteste Schweizer Geschichtsrevisionist, der 52-jährige Bernhard Schaub, wurde unlängst von einem Nordwestschweizer Gericht in zweiter Instanz zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 80 Tagen verurteilt. Er hatte vor einem Jahr in seinem Wohnort Flugblätter verteilt, auf denen er unter dem Titel »Wie war das mit dem Holocaust?« die Opfer der Nazis aufs Gröbste verhöhnte.
Bemerkenswert an dem Gerichtsurteil ist, dass es eine klare Verschärfung gegenüber dem ersten Richterspruch darstellt: Im Gegensatz zur ersten Instanz zeigte sich der Gerichtspräsident im Revisionsverfahren unduldsam gegenüber Schaubs unerträglichen Geschichtsthesen.
Seit der damalige Justizminister Christoph Blocher vor über einem Jahr das Schweizer Anti-Rassismus-Gesetz – es ist seit 1995 in Kraft – in Frage stellte und meinte, es müsse überprüft und allenfalls »angepasst« werden, wird das Thema diskutiert. Die Anti-Rassismus-Norm stellt auch das Leugnen der Schoa unter Strafe, und entsprechend jubelten Schweizer Rechtsextreme dem Justizminister zu. Es bleibt abzuwarten, wie Blochers Schweizerische Volkspartei Partei (SVP) nach der Abwahl ihrer Nummer 1 aus der Bundesregierung auf das Anti-Rassismus-Gesetz reagieren wird. Eigentlich wollte sich die Populistenpartei trotz ihres Wahlsiegs vom Oktober in dieser Frage nicht mehr exponieren, doch das tönt möglicherweise bald anders. Dies wohl auch, weil die Mini-Konkurrenz der SVP am rechten Rand, die Schweizer Demokraten (SD), seit den Wahlen im vergangenen Herbst nicht mehr im Parlament vertreten ist.
Die Gerichte in der Schweiz sind nach wie vor eher zurückhaltend, die Strafnorm des Anti-Rassismus-Gesetzes überhaupt anzuwenden: Bei jährlich rund 30 Verfahren gibt es nur alle paar Jahre einen Prozess wegen Leugnung der Schoa. Peter Bollag
Frankreich: Die Legislative in Paris hat im Juli 1990 die Gesetzgebung zur freien Meinungsäußerung hinsichtlich Aufrufs zum Hass, Diskriminierung und Rassismus verschärft. Der Gesetzeszusatz, das sogenannte Loi Gayssot, sieht vor, jede Art der Leugnung von Verbrechen gegen die Mensch- lichkeit, zu bestrafen. Bezüglich dieser Verbrechen stützt sich das »Gesetz Gayssot« auf die Definition, die in den Statuten des Internationalen Militärgerichtshofs von Nürnberg 1945 festgeschrieben wurde: »Verbrechen gegen die Menschlichkeit heißt Mord, Ausrottung, Deportation, Verminderung durch Sklaverei oder jede andere inhumane Tat gegen jede Zivilbevölkerung, die vor oder während des Krieges begangen wurde, oder auch politisch, rassistisch oder religiös motivierte Verfolgungen.«
Die Leugnung des Holocaust fällt eindeutig unter diesen Gesetzeszusatz. Die öffentliche Leugnung des Völkermordes ist somit strafbar. Der stellvertretende Vorsitzende des Front National, Bruno Gollnisch, wurde anhand dessen im Januar 2007 zu einer dreimonatigen Bewährungsstrafe sowie einer Geldbuße von 5.000 Euro verurteilt. Gollnisch, der auch Vorsitzender der rechtsextremen Gruppe »Identität, Tradition und Souveränität« im Europaparlament ist, hatte bei einer Pressekonferenz zu einer offenen Auseinandersetzung von Historikern über die Gaskammern aufgerufen.
Das »Gesetz Gayssot« wurde immer wieder kritisiert, nicht nur von Holocaustleugnern, die wegen einer angeblichen Einschränkung der Meinungsfreiheit sogar vergeblich den Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen angerufen hatten. Einige Historiker befürchteten eine »offizielle historische Wahrheit«, wodurch die Forschung eingeschränkt würde. Doch dies hat sich als völlig unbegründet erwiesen, denn die Fülle von Historiografien über den Holocaust hat seit der Verabschiedung des Gesetzes in Frankreich keinesfalls abgenommen. Lars Weber
Tschechien: Vor der tschechischen Justiz sind Nazis und Kommunisten gleich. »Wer einen nazistischen oder kommunistischen Genozid öffentlich leugnet, anzweifelt, lobt oder versucht zu rechtfertigen«, heißt es im Paragrafen 261a des Strafgesetzbuches, »wird mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis drei Jahren bestraft.« Unter diese Regelung fällt ganz ausdrücklich auch die Leugnung »anderer Verbrechen gegen die Menschlichkeit, begangen von Nazis oder Kommunisten«. Der Begriff Holocaust taucht nicht explizit im Gesetz auf.
Dass der tschechische Gesetzgeber den weiten Überbegriff des Genozids gewählt hat, liegt an der Vergangenheit des Landes. Gerade in der Zeit kurz nach der politischen Wende Anfang der 90er-Jahre war es den neuen demokratischen Machthabern der damaligen Tschechoslowakei wichtig, einen Schlussstrich unter die kommunistische Zeit zu ziehen. Gerade in der Phase des Umbruchs sollte die sozialistische Vergangenheit nicht glorifiziert werden. Bis heute ist dieses Motiv in Tschechien und der Slowakei zu erkennen: Projekte zur Vergangenheitsaufarbeitung umfassen häufig die »totalitären Regime von 1938 bis 1989«.
Viele Fälle von Schoa-Leugnung musste die tschechische Justiz in der Vergangenheit allerdings nicht behandeln: Insgesamt sechs Täter sind in den Jahren 2005 und 2006 verurteilt worden. In einem spektakulären Urteil ging es um das KZ im böhmischen Ort Lety, in dem während der NS-Zeit Sinti und Roma interniert waren. Auf einer Versammlung der rechtsextremen Nationalpartei sagte ein Neonazi, dass »an diesem Ort kein Holocaust ge- wesen« sei. Für Aufsehen sorgte auch ein Fall vor inzwischen zwei Jahren, als ein Tscheche Broschüren mit dem Titel »Die Wahrheit über Auschwitz« an Lehrer verteilt hatte. Kilian Kirchgeßner
Großbritannien: Die Rechtslage zur Leugnung des Holocausts in England ist eindeutig: Sie ist nicht strafbar. Warum nicht, ist weniger klar. Während sich nämlich Holocaust-Leugner etwa in den Vereinigten Staaten auf das berühmte »First Amendment«, also den ersten Zusatz zur Verfassung, berufen können, fehlte es im Mutterland des Common Law lange an einer gesetzlichen Regelung der Meinungsfreiheit. Sie galt vielmehr als Kernbestandteil der englischen Verfassung, ohne dass dies jemals schriftlich hätte festgehalten werden müssen.
Das Recht hat im Common Law, wie dies der amerikanische Richter Oliver Wendell Holmes Jr. einmal formulierte, mehr mit Erfahrung als mit Logik zu tun. Und die englischen Erfahrungen mit der freien Meinungsäußerung haben über Jahrhunderte den Grundsatz beinahe schrankenloser Redefreiheit zementiert. Dass es seit wenigen Jahren ein formelles Menschenrechtsgesetz gibt, hat dies nur noch bekräftigt, aber an der rechtlichen Situation nichts geändert.
So kommt es, dass Holocaust-Leugner wie David Irving in England ihre Theorien verbreiten können, ohne dass es ihnen staatliche Stellen verbieten könnten. Die Engländer gehen damit auf andere Weise um. So hatte der High Court festgestellt, dass Irving als »Holocaust-Leugner« bezeichnet werden darf und in einem spektakulären Verfahren Irvings Reputation nachhaltig infrage gestellt. Gleichzeitig wird Leugnern in den Medien des Landes keine Gelegenheit geboten, ihre kruden Positionen zu verbreiten. Die englische Gesellschaft begegnet der Holocaust-Leugnung auf urbritische Art: mit den Mitteln der freiheitlichen Zivilgesellschaft. Oliver Marc Hartwich
Italien: Eigentlich hatte Italiens christdemokratischer Justizminister Clemente Mastella ausdrücklich gegen die Leugnung des Holocaust (»negazionismo«) vorgehen wollen. Doch der Gesetzentwurf, den das Kabinett Prodi Ende Januar vergangenen Jahres einstimmig absegnete, war eine deutlich abgespeckte Version des Textes, den Mastella noch Tage zuvor an die Kollegen gegeben hatte. Das Wort »leugnen« taucht nicht mehr auf; die Rede ist von »Aufstachelung zu Verbrechen gegen die Menschheit« und deren »Rechtfertigung«. Die Strafen dafür sollen zwischen drei und zwölf Jahren liegen. Gleichzeitig werden für die Verbreitung rassistischen Gedankenguts bis zu drei Jahre Gefängnis festgesetzt. Wer zum Rassenhass aufruft oder andere wegen ihrer Herkunft oder Religion diskriminiert, muss mit bis zu vier Jahren rechnen. Im Wesentlichen stellt Mastellas Entwurf das »Mancini«-Gesetz von 1993 wieder her, das Roberto Castelli, Justizminister unter Berlusconi und Mitglied der xenophob-populistischen Lega Nord, abgeschwächt hatte.
Mastellas ursprüngliche Pläne waren Anfang Januar 2007 auf heftigen Widerstand gestoßen: Protest kam vom Vizepremier und Kulturminister Francesco Rutelli (Liberale), aber auch von etwa 170 Historikern, Linken wie Konservativen und fast allen jüdischen Historikern Italiens. In einer gemeinsamen Erklärung warnten sie vor einer »Wahrheit von Staats wegen«. Es sei dringend nötig, Antikörper gegen den »negazionismo« zu bilden, aber das sei Sache der Zivilgesellschaft: »Der Staat sollte ihr helfen, er sollte nicht an ihre Stelle treten.« Elio Toaff, Roms langjähriger Oberrabbiner und die Autorität der italienischen jüdischen Gemeinschaft, bemerkte trocken, die Juden hätten in Italien bereits unter Sondergesetzen leben müssen: »Wollen wir das wieder?« Und auch Renzo Gattegna, Vorsitzender der Union der jüdischen Gemeinden Italiens, warnte vor Gesinnungsstrafrecht. Der veränderte Gesetzentwurf fand den Beifall von Gattegna, Gesetz ist er noch nicht. Die von Parteienrivalitäten zerrissene Regierung Prodi hat ihn in einem Jahr nicht durch die Abgeordnetenkammer gebracht. Andrea Dernbach