Engagement

Lückenhaft

von Alice Lanzke

Potsdam an einem normalen Wochentag: Am Hauptbahnhof ist dröhnender Baulärm zu hören, auf dem Weg ins Zentrum säumen Sperrgitter, Maschinen und Container den Weg. Vor der Langen Brücke schlägt ein Schaufelbagger seine Zähne in den weichen Ufersand, die eingerüstete Nikolaikirche ist von Weitem sichtbar. Vor der Kirche eine quadratische Grube; archäologische Grabungen als Vorbereitung für den neuen Landtag, der hier einmal stehen soll. Potsdam baut.
Der pulsierende Lärm passt zum neuen Glanz, den die brandenburgische Landes-hauptstadt seit ein paar Jahren ausstrahlt: Ihre Park- und Schlosslandschaften gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe und locken das ganze Jahr über unzählige Touristen an; drei Hochschulen sowie zahlreiche Forschungsinstitute schaffen einen aktiven Wissenschaftsstandort, und in den malerischen Gassen und sanierten Altbauten der Innenstadt eröffneten zahlreiche schicke Cafés und Geschäfte. Die Einwohnerzahl wächst stetig, vor allem die deutsche Prominenz zieht es in die prächtigen Villen der Berliner Vorstadt. Im Internet präsentiert sich Potsdam selbstbewusst als »zweifellos eine der schönsten Städte Deutschlands«.
Wie ein dunkler Schatten inmitten all der schmucken Barockbauten und des ge-schäftigen Treibens wirkt da der Platten-bau in der Schlossstraße: In dem schmutzig-braunen Betonriegel hat die jüdische Gemeinde zu Potsdam ihren Sitz. Ihre Räume liegen an einem schmalen Gang, der mit einem ausgetretenen grauen Teppich ausgelegt ist und den Charme einer Behörde verströmt. Kein Wunder, wurde das Gebäude doch früher für die Verwaltung der Wasserwirtschaft genutzt. Von dem etwas muffig riechenden Flur gehen Büros und ein Gebetsraum ab: Der weiße Raum, an dessen Ende Klappstühle stehen, erinnert an ein Klassenzimmer. »Es ist schwer, hier religiöse Gefühle zu entwickeln«, seufzt Evgeni Kutikow, Vorstandsmitglied der Potsdamer Gemeinde. Seit 15 Jahren wünscht sich die Gemeinde ein Zentrum, das vor allem auch eine Synagoge beherbergt. Die alte Synagoge am heutigen Platz der Deutschen Einheit wurde in der Pogromnacht zum 10. November 1938 von den Nazis verwüstet, beim Bombenangriff 1945 schwer beschädigt und auf Beschluss des Rates der Stadt schließlich im Jahr 1957 abgerissen. Heute ist Potsdam die einzige deutsche Landeshauptstadt ohne Synagoge für die fast 400 eingetragenen Mitglieder, zu denen noch einmal doppelt so viele Familienangehörige zählen.
Wer verstehen will, warum noch kein jüdisches Gotteshaus in der Stadt steht, muss einen Blick auf die jüngere Geschichte werfen: Zu DDR-Zeiten gab es hier keine jüdische Gemeinde. Nach der Wiedervereinigung mussten die entsprechenden Infrastrukturen erst mühsam aufgebaut werden. Ein Finanzskandal um den ehemaligen Vorstand und der noch immer ungelöste Konflikt mit der sogenannten Gesetzestreuen Jüdischen Gemeinde um die Mittel aus der Landesförderung führten zu massiven Geldproblemen. Nicht zuletzt deshalb betet die Gemeinde noch immer im Provisorium des Plattenbaus.
»Vielleicht sind wir mit solch einer symbolischen Synagoge im Moment auch nur eine symbolische Gemeinde?«, fragt sich Vorstandsmitglied Kutikow. Das aber soll anders werden. Seit März 2005 gibt es den Bauverein »Neue Synagoge Potsdam«. Mit einem neuen Zentrum, glaubt dessen Vorsitzender Horst Mentrup, ehemaliger Finanzstaatssekretär Brandenburgs, würde jüdisches Leben sichtbarer: »Das jetzige Gebäude ist weder von außen noch von innen als jüdisch zu erkennen.«
Das geplante Zentrum soll Platz für eine Synagoge sowie Gemeinderäume bieten. Die genauen Anforderungen wurden mit dem Berliner Rabbiner Yitshak Ehrenberg erarbeitet. »Insgesamt wird das Gebäude eine orthodoxe Prägung bekommen«, erläutert Mentrup. Der Brandenburgische Landesbetrieb für Liegenschaften und Bauen (BLB), der dem Landesfinanzministerium untersteht, hat eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse Grundlage für einen Architektenwettbewerb bilden sollen. BLB-Vorsitzender Mentrup setzt auf Hilfe des Landes: »Es gibt Hinweise, dass das Finanzministerium den Wettbewerb auch finanziell übernimmt.« Doch damit endet die in Aussicht gestellte Hilfe nicht: Die BLB soll außerdem das Gelände an der Schlossstraße entwickeln. Für dieses Vorhaben gibt es eine schriftliche Zusage von Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD).
Unterstützung wird dringend benötigt. Die ursprünglichen Pläne, Bau und Betrieb des neuen Zentrums aus Spenden zu finanzieren, haben sich als illusorisch erwiesen. An politischen Absichtserklärungen auf Landes- wie auf kommunaler Ebene mangelt es nicht, doch an konkreten Zusagen fehlt es ebenso wie an Spenden von privater Seite. Dabei gilt Potsdam als Musterbeispiel bürgerschaftlichen Engagements: So stiftete SAP-Gründer Hasso Plattner ein eigenes Institut für IT-Systemtechnik, zahlreiche Vereine werben um Spenden für die vielen Bauprojekte in der Stadt – wie den geplanten Wiederaufbau der Garnisonkirche, der ein breites Medienecho hervorrief und für den prominente Unterstützer wie Modedesigner Wolfgang Joop und TV-Moderator Günther Jauch ihre Hilfe zusagten.
Wie der Zufall es will, liegt der Sitz der entsprechenden Fördergesellschaft nur wenige Schritte entfernt von der jüdischen Gemeinde: In der Breiten Straße, am alten Standort der Garnisonkirche, informiert eine Ausstellung über das Vorhaben. Im Schaufenster hängen Plakate mit den Konterfeis großzügiger Spender. »Mein Ziegelstein für die Garnisonkirche« lautet das Motto. Die Spender halten den symbolischen Ziegel ins Bild. »Wir bauen SIE auf«, steht in fröhlichem Gelb an der Fassade des Ausstellungsraums geschrieben.
Drinnen informiert Michael Kreutzer von der Fördergesellschaft über die Spendenaktion. In seinen Augen sind Garnisonkirche und Neue Synagoge nicht vergleichbar: »Hier geht es um den Wieder- aufbau eines der zentralen Gebäude der Stadt, das architektonisch einzigartig war und es wieder sein wird.« Zwar habe man in beiden Fällen Gotteshäuser zerstört. Doch die Bindung der Potsdamer an die Garnisonkirche sei enger: »Die Kirche mit ihrem Turm war von überall sichtbar, das Glockenspiel konnte man in der gesamten Innenstadt hören. Viele Potsdamer können sich noch an die ausgebrannte, aber aufbaufähige Kirche erinnern, da sie erst 1968 abgerissen wurde«, sagt er. Eine Konkurrenz verschiedener Spendenaufrufe oder der beiden Projekte sieht Kreutzer nicht. Ganz im Gegenteil: Wie einige andere Potsdamer auch, sei er in beiden Fördervereinen aktiv.
Dennoch scheint die fehlende Synagoge keine spürbare Lücke zu schaffen. Vielleicht ist das ein Erbe der DDR, in der es zuletzt in ganz Brandenburg keine jüdische Gemeinde mehr gab. Kommt es mit dem Bau der Synagoge nicht voran, weil ihr Fehlen nicht auffällt? Um Potsdamer Bürger dazu zu befragen, muss man nicht weit gehen: Die Fußgängerzone ist schnell erreicht. Hier reiht sich ein hübsches Geschäft an das nächste, in der Brandenburger Straße herrscht Hochbetrieb. »Ich wüsste nicht, warum wir eine Synagoge brauchen«, erklärt schon der erste An-gesprochene. Doch mehr als seinen Vor-namen will Jürgen nicht verraten. Wie der 69-jährige Rentner reagieren an diesem Tag alle Befragten, selbst, wenn sie den Bau befürworten. »Schreiben Sie einfach Elise«, erklärt etwa die elegant gekleidete ältere Blondine, die auf einer Bank ein Eis genießt. »Das ist doch immer heikel mit jüdischen Themen und den Medien«, lacht sie etwas verschämt. Sie ist sich sicher: Die Potsdamer wüssten, dass es keine Synagoge in der Stadt gibt. Sie selbst ist für ein neues jüdisches Gotteshaus: »Das ist doch eine Schande, dass wir als Landeshauptstadt keines haben.« Ihr Begleiter wirft ein: »Aber leben hier überhaupt so viele Juden?« Eine häufige Gegenfrage. Vielen der angesprochenen Potsdamer ist gar nicht bewusst, dass es in ihrer Stadt eine jüdische Gemeinde gibt – und dass diese keine Synagoge hat. Manche reagieren skeptisch auf die Information: »Ich glaube nicht, dass die Zahl der Juden hier eine eigene Synagoge rechtfertigt. Die können doch auch nach Berlin fahren«, meint etwa Georg, ein 30 Jahre alter Angestellter. Er schimpft: »Das ist doch wieder nur irgend so ein Prestigeprojekt, für das es gar keinen Bedarf gibt.« Andere Befragte, die von der fehlenden Synagoge erfahren, drücken ihr Bedauern aus. Oft ist zu hören: »Ich fände das prinzipiell schon gut, aber ob ich selbst spenden würde?«
Vielleicht ist es sinnvoller, bei den prominenten Potsdamern nachzufragen, die bereits für ihr Engagement bekannt sind und nicht nur öffentlichkeitswirksam für eine neue Synagoge werben könnten, sondern auch selbst über die Mittel zur Unter-stützung verfügen. Doch auch hier über-wiegt Unkenntnis: So lässt etwa der Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner ausrichten, er wüsste zu wenig über das Projekt, um sich öffentlich zu äußern. SAP-Gründer Hasso Plattner will zu dem Thema gar nichts sagen. Modedesigner Wolfgang Joop beantwortet die Anfrage nicht einmal. Einzig Fernsehmoderator Günther Jauch erklärt konkret, er würde sich über den Neubau der Synagoge sehr freuen und ihn dann auch persönlich unterstützen. »Ich kenne ja die Bilder der alten Synagoge neben der Post am Wilhelmplatz und ärgere mich über den gesichtslosen Bau, der dann später dort hingestellt wurde«, erklärt Jauch, der auch für die Garnisonkirche gespendet hat. Deren Wiederaufbau gegen das Projekt Synagoge auszuspielen oder gar politisch zu instrumentalisieren, wäre allerdings schade. »Davon abgesehen glaube ich persönlich, dass Potsdams neue Synagoge eher wieder aufgebaut wird als die Garnisonkirche«, so Jauch. Schließlich sei das Spendenaufkommen für die Garnisonkirche trotz Werbeaktion im Augenblick so niedrig, dass man mit dem vorhandenen Geld noch nicht allzu viel anfangen könnte.
Ob er mit seiner Prognose recht behält, bleibt abzuwarten. Ein deutliches Signal für den Bau der Synagoge wäre allerdings allmählich notwendig, auch als sichtbares Zeichen für die Gemeinde. »Einige beschweren sich schon, dass die Diskussionen schon seit 15 Jahren laufen und nichts passiert«, beschreibt Evgeni Kutikow die Stimmung. Horst Mentrup ist da optimistischer: »Wenn wir erst einmal den Architektenwettbewerb durchgeführt haben und den Menschen Bilder zeigen können, damit sie sehen, wofür sie spenden sollen, wird es einfacher«, glaubt der Vorsitzende des Bauvereins. Bis Ende des Jahres soll der Wettbewerb abgeschlossen sein. Dann ist auch eine große Spendenkampagne geplant, um die Synagoge im August 2012 eröffnen zu können. Pünktlich zum 20. Jahrestag der brandenburgischen Verfassung. Horst Mentrup gefällt der Termin. »Er ist ein geeignetes Datum, um Verantwortung zu zeigen.«

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